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Stercus Abrahe: Binäre Codes in Antijudaismus und Antisemitismus

Stercus Abrahe: Binäre Codes in Antijudaismus und Antisemitismus Der vorliegende BeitragDie folgende Skizze ist Teil einer laufenden, breiter angelegten Forschung zu den Anfängen des Bilds vom ›jüdischen Wucher‹ im Spätmittelalter. Die Vortragsform wurde weitgehend beigehalten. Für wichtige Hinweise danke ich Markus Wenninger. – Abkürzungen: CCSL = Corpus Christianorum, Series Latina; CCCM = Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis; CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum; PL = Patrologiae cursus completus, Series latina. Accurante Jacques-Paul Migne, Paris 1844–1855. unternimmt den Versuch, vormoderne, mittelalterliche Quellenzeugnisse mit Blick auf den modernen Begriff »Antisemitismus« zu lesen. Zu fragen ist, ob die traditionelle Unterscheidung zwischen »Antijudaismus« (begriffen als eine im Wesentlichen auf die religiöse Differenz bezogene Ausprägung der Judenfeindschaft) und »Antisemitismus« (eine unter den Bedingungen der Moderne über das Religiöse hinausgehende, gleichsam entgrenzte »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit«) sinnvoll ist und wenn ja, wie das Verhältnis zwischen den beiden Begriffen zu fassen ist. Er nimmt dafür einen Komplex von Fremdbildern in den Blick, der vereinfacht mit dem Schlagwort »Juden und Geld« bezeichnet werden kann und der seit dem Spätmittelalter eine dauerhafte Belastung des christlich-jüdischen Verhältnisses darstellt.Vgl. Sara Lipton: A Terribly Durable Myth. The exhibition »Jews, Money, Myth« at the Jewish Museum in London. In: The New York Review, 27. Juni 2019, online unter <www.nybooks.com/articles/2019/06/27/jews-money-terribly-durable-myth/> (zuletzt aufgerufen 22.02.2022). An zwei Beispielen – dem Liber floridus des Kanonikers Lambert von Saint-Omer aus dem frühen 12. und den Diskussionen um die Erlaubtheit des Rentenkaufs im späten 14. Jahrhundert – soll verdeutlicht werden, wie das in religiöser Polemik herausgebildete Prinzip der binären Kodierung von Gut und Böse auch die Diskurse der christlichen Mehrheit auf »weltlichen« Feldern der Beschreibung von Juden und Judentum strukturiert hat. Augenfällig wird dies in den Schriften des großen Wiener Gelehrten Heinrich von Langenstein (gest. 1397), der Juden einerseits als »Brüder« anzusprechen suchte und sie andererseits als stercus Abrahe verdammte.Der Beitrag nimmt zunächst (Teil 1) eine Positionsbestimmung vor mit Blick auf das Thema »Mittelalter und Antisemitismus«. Teil 2 stellt ein hochmittelalterliches Beispiel vor für das, was als »Kodierung« zu bezeichnen wäre. Überleitend (Teil 3) sind zunächst einige Worte über den mittelalterlichen Rentenkauf zu verlieren. Seine moralische Problematik wird unter Rückgriff auf einen Traktat erläutert, der dem Prager Magister Konrad von Ebrach OCist (gest. 1399) zugeschrieben wird. Vor diesem Hintergrund sind dann (Teile 4–5) einige zentrale Passagen aus den Werken Langensteins und seines Wiener Freunds und Kollegen Heinrich Totting von Oyta zu diskutieren, die ihre Rentenkauf-Diskussionen jeweils mit Angriffen auf die zeitgenössischen Juden verbanden. Schließen will ich mit einem kurzen Fazit, das die Leitfrage nach dem Verhältnis von Antijudaismus und Antisemitismus aufgreift.1Mittelalter und »Antisemitismus«Kann man, müssen wir mit Blick auf das Mittelalter von »Antisemitismus« sprechen? Nur wenige Mediävistinnen und Mediävisten haben sich bisher dafür ausgesprochen und dabei versucht, das Verhältnis des Begriffs zu dem des »Antijudaismus« zu klären. Zu ihnen gehört Gavin Langmuir, der 1990 »Antijudaismus« beschrieb als eine nichtrationale Feindseligkeit gegenüber Juden oder Judentum, die sich auf wirkliche Praktiken oder Glaubenssätze der jüdischen Gemeinschaft bezieht (auch wenn diese dabei oft falsch gedeutet werden). Demgegenüber sei »Antisemitismus« eine irrationale Feindseligkeit gegen Juden oder Judentum, die sich auf Praktiken oder Vorstellungen bezieht, die Juden gar nicht haben und hatten (also auf »Schimären«). Langmuir hat sich vor allem mit der Ritualmordlegende beschäftigt: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Juden aus religiösen Gründen Christenkinder ermorden würden. An dieser Stelle wären also bereits im 12. Jahrhundert antisemitische Denkweisen zu konstatieren.Gavin I. Langmuir: Toward a Definition of Antisemitism. Berkely, Los Angeles and Oxford 1990; vgl. auch Robert Chazan: From Anti-Judaism to Anti-Semitism. Ancient and Medieval Christian Constructions of Jewish History. New York 2016.Eine ähnliche Argumentationslinie vertritt neuerdings François Soyer in der kleinen Abhandlung Medieval Antisemitism?, die nicht zufällig in einer Reihe namens »Past Imperfect« erschienen ist. Auch Soyer identifiziert Motivkomplexe, die eine Kontinuität vom Hoch- oder Spätmittelalter bis in die Neuzeit aufweisen. Er hält den Begriff »Antisemitismus«, bezogen auf mediävistische Sujets, vor allem in der Pluralform für nützlich, spricht also von »Antisemitismen«. Dabei hält er drei Komplexe für besonders aufschlussreich: die Entdeckung des »Talmudjuden« im 12. Jahrhundert und die damit verbundenen Verschwörungsmotive; die Entmenschlichung des jüdischen Körpers und die damit einher gehende Dämonisierung; schließlich die häufigere Ineinssetzung von jüdischer Religion und jüdischer Genealogie oder auch »Rasse« seit dem 15. Jahrhundert. Über polemische Schriften der Frühen Neuzeit, so Soyer, seien diese Motivkomplexe in die Moderne tradiert worden.François Soyer: Medieval Antisemitism? Leeds 2019 (Past Imperfect); vgl. meine Rezension in: Francia Recensio, 2020-09-30, online unter <https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75572>.Einen radikaleren Zugriff wählt Peter Schäfer in seiner Kurze[n] Geschichte des Antisemitismus, indem er sich bewusst gegen eine »Trennung von ›Antijudaimus‹ als der spezifisch christlichen Ausprägung und ›Antisemitismus‹ als seiner völkisch-rassistischen modernen Spielart« ausspricht. Solche ›Spielarten‹ sind laut Schäfer, der seinen Ausgangspunkt beim antiken, vorchristlichen Judenhass wählt, nur Aspekte eines »variablen, vielschichtigen und offenen Systems«.Peter Schäfer: Kurze Geschichte des Antisemitismus. München 2020, S. 9 f., 11. Man kann sagen, dass Variabilität, Vielschichtigkeit und Offenheit zur besonderen Resilienz dieses Systems beitragen.Die Trierer Forschungsgruppe 2539 »Resilienz: Gesellschaftliche Umbruchphasen im Dialog zwischen Mediävistik und Soziologie« arbeitet seit 2016 an einem Resilienzkonzept, das die Nichtlinearität historischer und gesellschaftlicher Prozesse berücksichtigt. Resilienz wird demnach begriffen als »Ensemble dynamischer Prozesse von Bewältigung, Anpassung und Transformation angesichts bestandsgefährdender Herausforderungen, die sich durch flexible und kreative Rekonfiguration tradierter Elemente sowie durch die Entwicklung neuartiger Deutungs- und Handlungsmuster auszeichnen«. Resilienz wird dabei, entgegen der verbreiteten Verwendung des Begriffs, nicht normativ positiv gefasst bzw. für normativ positiv geladene Sachverhalte (etwa Gesundheit) reserviert. Als Prozesskategorie und Perspektive auf soziale Prozesse kann »Resilienz« vielmehr durchaus für die Erforschung unerwünschter sozialer Phänomene fruchtbar gemacht werden. Zur Herleitung dieses Resilienz-Begriffs vgl. u. a. den Sammelband Panarchy: Understanding Transformations in Human and Natural Systems, ed. by Lance H. Gunderson and C. S. Holling. Washington, Covelo and London 2002; zum Programm der Trierer Forschungsgruppe siehe <https://for2539-resilienz.uni-trier.de/forschungsprogramm/> (zuletzt aufgerufen am 04.04.2022). Sowohl Schäfer als auch Soyer sprechen übrigens die apologetische Tendenz an, die nicht selten im Spiel ist, wenn der »traditionelle Antijudaismus« als gleichsam harmloserer Gegenpart zum modernen »Rasse-Antisemitismus« ausgespielt wird.Schäfer, Kurze Geschichte (wie Anm. 5), S. 14; vgl. Soyer, Antisemitism? (wie Anm. 4), S. 20.Für den vorliegenden Beitrag knüpfe ich allerdings nicht an Schäfers Buch an, sondern greife auf die Überlegungen zurück, die David Nirenberg in seinem Buch Anti-Judaism vorgestellt hat. Auch Nirenberg beginnt seine Erzählung im Alten Ägypten. Ihm geht es dabei ebensowenig wie Schäfer um die Rekonstruktion einer Genealogie, sondern vielmehr um das, was die unterschiedlichen Ausformungen der Judenfeindschaft gleichsam auf einer Meta-Ebene miteinander verbindet: Warum hat das Denken in Begriffen von »jüdisch«, »die Juden« und »Judentum« in so vielen unterschiedlichen Gesellschaften des sogenannten Westens, einschließlich solcher, in denen gar keine Juden lebten, eine derartige Bedeutung angenommen? Welche Funktion hat das Denken in diesen Begriffen für die diskursive Weltwahrnehmung dieser Gesellschaften gehabt – in Nirenbergs Worten: »in their efforts to make sense of their world«?David Nirenberg: Anti-Judaism. The Western Tradition. New York 2013, S. 1–12, Zit. S. 2. Den Begriff »Antisemitism« lehnt Nirenberg (ebd., S. 3) als historisch und begrifflich zu eng für die Fragestellung seines Buches ab (»a word that captures only a small portion, historically and conceptually, of what this book is about«). Während Schäfer also eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Antijudaimus und Antisemitismus ablehnt und sich für letzteren entscheidet, verhält es sich für Nirenberg gerade umgekehrt: »Anti-Judaism« ist, geistesgeschichtlich betrachtet, für ihn der übergeordnete Begriff.2Die Welt binär kodieren: arbor malaDafür, wie die Figur des »Jüdischen« das Denken über die Ordnung der Welt kodieren und damit strukturieren konnte, lagen den Gelehrten des Lateinischen Mittelalters aus der Spätantike im Wesentlichen zwei Modelle vor, die beide mehr oder weniger binär organisiert waren: Das eine bestand darin, den Wert und die Wahrheit des sogenannten ›Alten Testaments‹ insofern anzuerkennen, als darin die grundlegenden Glaubenswahrheiten des Christentums vorgebildet waren. Durch deren Erfüllung im Christusereignis wurden sie aber durch eine neue, explizitere Offenbarung abgelöst. Diese Vorstellung wurde wohl am nachhaltigsten von dem Kirchenvater Augustinus an das lateinische Mittelalter überliefert.Jeremy Cohen: Living Letters of the Law. Ideas of the Jew in Medieval Christianity. Berkeley, Los Angeles and London 1999; Christoph Cluse: »Töte sie nicht!« Echos der augustinischen Theologie über die jüdische ›Zeugenschaft‹ im Mittelalter. In: Augustinus – Christentum – Judentum. Ausgewählte Stationen einer Problemgeschichte. Hg. von Christof Müller und Guntram Förster. Würzburg 2018 (Res et signa; 39), S. 113–156. Das andere Denkmodell ist eng damit verbunden: Denn die skizzierte Erfüllungs- und Ablösungsdynamik war bei den Kirchenvätern nicht ohne wertenden Dualismus. So nimmt beispielsweise auch Augustinus in seinem heilsgeschichtlichen Entwurf De Civitate Dei klare Zuordnungen auf der symbolischen Ebene vor: Kain und Abel, Hagar und Sara, Lea und Rachel, Esau und Jakob sind jeweils Präfigurationen nicht nur der Civitas terrena und der Civitas Dei, sondern zugleich von Judentum und Christentum. In der Heilsgeschichte stehen sich so Fluch und Verheißung, unfrei und frei, alt und neu, ›fleischlich‹ und ›geistig‹ gegenüber. Im Figurenpaar von Ecclesia und Synagoga hat diese binäre Kodierung seit dem hohen Mittelalter an zahlreichen Kirchenportalen Ausdruck gefunden.Vgl. Friedrich Ohly: Synagoga und Ecclesia. Typologisches in mittelalterlicher Dichtung [zuerst 1966]. In: Ders., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt 1977, S. 312–337; Ecclesia und Synagoga. Das Judentum in der christlichen Kunst. Ausstellungskatalog, hg. von Herbert Jochum. Ottweiler 1993; Miri Rubin: Ecclesia and Synagoga: The Changing Meanings of a Powerful Pairing. In: Conflict and Religious Conversation in Latin Christendom. Studies in Honour of Ora Limor. Ed. by Israel Jacob Yuval and Ram Ben-Shalom. Turnhout 2014 (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages; 17), S. 55–86.In einem semi-monastischen Kontext entstand im frühen 12. Jahrhundert der sogenannte Liber floridus, geschaffen von einem Regularkanoniker namens Lambert. Das erstaunliche Werk, das uns als Autograph erhalten ist,Gent, Universiteitsbibliotheek, BHSL.HS.0092 (ca. 1121); Digitalisat online unter <https://lib.ugent.be/en/catalog/rug01:000763774>; vgl. Albert Derolez: The Making and Meaning of the Liber Floridus. A Study of the Original Manuscript. Ghent, University Library, MS 92, Turnhout 2015 (Studies in Medieval and Early Renaissance art History; 76). versucht in vielerlei Hinsicht, das religiös relevante Wissen über die Welt seiner Zeit geordnet darzustellen. So enthält der Liber floridus auch zahlreiche Tafeln, Diagramme und grafische Illustrationen bestimmter Sachverhalte.Vgl. Liber floridus, 1121: The World in a Book. Ed. by Karen de Coene, Martine de Reuet and Philippe de Maeyer. Lannoo 2011; Jean-Claude Schmitt: Qu’est-ce qu’un diagramme? A propos du Liber floridus de Lambert de Saint-Omer (ca. 1120). In: Diagramm und Text. Diagrammatische Strukturen und die Dynamisierung von Wissen und Erfahrung. Hg. von Eckart Conrad Lutz. Wiesbaden 2014, S. 79–94. Der Erfolg des Werkes zeigt sich in neun erhaltenen Kopien – eine überraschend hohe Zahl angesichts seines kompilativen Charakters bei gleichzeitig hohem gestalterischem Aufwand.Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 189–193; vgl. auch Johan Tollebeek: Arbor mala. Het antijudaisme van Lambertus van Sint-Omaars. In: Studia Rosenthaliana 20 (1986), S. 1–33, hier S. 4 mit Anm. 16.Für den vorliegenden Zusammenhang ist die zweiteilige Tafel auf Blatt 231v und 232r von besonderem Interesse. Hier finden wir spiegelbildlich angeordnet links einen farbenfrohen, mit unterschiedlichen Blättern und Blüten sowie Figurenmedaillons geschmückten Baum, rechts ein blasses, eintöniges und von viel Text bestimmtes Gegenstück (vgl. Abb. 1). Die beiden Bäume heißen nicht zufällig der »gute« und der »schlechte« Baum, arbor bona und arbor mala.Zum Folgenden vgl. Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13); Linda Ijpelaar: Goede bomen, slechte bomen. Bijbelse boom- en plantsymboliek in Liber floridus. In: De groene middeleeuwen: duizend jaar grebreuik van planten (600 tot 1600). Uitg. door Claudine A. Chavannes-Mazel en Linda Ijpelaar. 2. Aufl., Eindhoven 2019, S. 168–183. Knapp: Heinz Schreckenberg: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte (11.–13. Jh.). Mit einer Ikonographie des Judenthemas bis zum 4. Laterankonzil. Frankfurt a. M. [etc.] 31997 (Europäische Hochschulschriften XXIII; 335), S. 67 f. Auf der Seite des Guten finden wir eine Vielzahl von biblisch bezeugten Gewächsen, von der Rose über die Terebinthe und die Zypresse bis zum Balsam. Dazwischen sind an den Astgabeln oder Knotenpunkten die Personifikationen menschlicher Tugenden zu sehen: Wurzelnd in der Nächstenliebe (karitas) zeigt der Baum zwölf weitere Tugenden, unter denen, wie ich meine, die für das gute Funktionieren einer Klerikergemeinschaft wichtigen besonders hervortreten: Langmut und Geduld, Keuschheit und Milde, Nüchternheit und Selbstbeherrschung.Auf der anderen Seite gibt es nur ficuli, also »kleine Feigen«. Der eintönige, ja steril anmutende Feigenbaum bringt nichts hervor als Untugenden, die den Tugenden spiegelbildlich gegenübergestellt werden: Ausgehend von der Habgier (cupiditas) finden wir hier zwölf Begriffe, unter denen Dissens und Zank, Feindschaft, Neid und Streitsucht wohl wieder auf das semi-monastische Setting dieser moralischen Weltordnung verweisen. Dafür spricht auch die Präsenz sexueller Untugenden wie fornicatio, inmunditia und luxuria sowie der religiösen Verzweiflung als Gegenpart zur »heiligen Hoffnung« auf der anderen Seite.Der um die Mitte des 11. Jahrhunderts geborene Lambert schrieb und gestaltete seinen Liber floridus über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren; seine letzten Notizen stammen von Juni 1121. Als Regularkanoniker des Marienstifts von Saint-Omer im heute französischen Teil Flanderns (Dept. Pas-de-Calais) hat er wohl selten einen leibhaftigen Juden gesehen.Zur Siedlungsgeschichte der Juden im mittelalterlichen Flandern vgl. Jo Tollebeek: De Joden in de Zuidelijke Nederlanden tijdens de late middeleeuwen. Kritisch-bibliografisch overzicht (1949–1983). In: Bijdragen tot de geschiedenis 66 (1983), S. 13–34; Christoph Cluse: Studien zur Geschichte der Juden in den mittelalterlichen Niederlanden. Hannover 2000 (Forschungen zur Geschichte der Juden; A10), S. 12 mit Anm. 2, S. 16 mit Anm. 24, S. 85. Gleichwohl dokumentiert sein Liber floridus ein lebhaftes Interesse für die zeitgenössische christliche Auseinandersetzung mit dem Judentum. Enthalten darin sind die Disputatio contra Judaeum de adventu Christi Odos von Cambrai (gest. 1113)Liber floridus, fol. 5r–10r, vgl. Derolez, Making and meaning (wie Anm. 11), S. 50 Nr. 8; Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 8 f., unmittelbar anschließend ein Exzerpt aus der Disputatio Iudaei et Christiani Gilbert Crispins (gest. 1117)Liber floridus, fol. 10r–v; vgl. Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 50 f. Nr. 9; Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 9–11. sowie schließlich in extenso eine Kopie des Traktats De fide catholica contra Iudaeos Isidors von Sevilla (gest. 636).Liber floridus, fol. 246r–252bisv; vgl. Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 160 f. Nr. 160; Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 11–14. Unmittelbar nach Isidors Traktat folgt eine Illustration, die Christus mit Ecclesia und Synagoga zeigt.Liber floridus, fol. 253r; vgl. Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 161 Nr. 292; Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 26–28.In diesen Zusammenhang ist einzuordnen, dass Lambert seine beiden Bäume zusätzlich mit den Begriffen Ecclesia fidelium einerseits und Synagoga andererseits charakterisiert. »Ecclesia« und »Synagoga« erscheinen also als Chiffren, als binäres Prinzip, als Pole in seinem Nachdenken über Gut und Böse im Zusammenhang einer Gemeinschaft, in der zweifellos niemand der »Synagoge« angehörte, in der aber schlechtes Benehmen als »jüdisch« markiert wird.Die Anknüpfungspunkte für diese Zuordnung findet Lambert in der Schrift beziehungsweise deren Auslegung: In der linken oberen Ecke der »Arbor mala«-Tafel (fol. 232r) finden wir Auszüge aus den Evangelien und einen Psalmvers. Lambert greift auf das bekannte Bild des unfruchtbaren Feigenbaums zurück, den Jesus nach Mk 11,21 verflucht haben soll. Darüber hinaus verweist er auf einen Ausspruch Johannes des Täufers bei Matthäus: Der Täufer wendet sich darin an die »Schlangenbrut« der Pharisäer und Sadduzäer (Mt 3,7) und fordert sie auf, ihre Umkehrwilligkeit mit Werken (also Früchten) unter Beweis zu stellen. »Schon ist die Axt an die Wurzel des Baumes gelegt«, droht er (Mt 3,10; dort folgt: »Jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen«). Tatsächlich sind im Bild zwei Äxte bei den Wurzeln des Baumes platziert.Abb. 1:»Liber Floridus Ghent 231v–232r«Hinsichtlich der zitierten Verse konnte Lambert auf ältere Auslegungen zurückgreifen. Dies gilt besonders für die Interpretation des verdorrten Feigenbaums als Sinnbild für die Juden.Vgl. z. B. Sancti Epiphanii Episcopi Interpretatio Evangeliorum. Ed. Alvar Erikson. Lund 1939 (Scrifter utgivna av Kungl. Humanistiska Vetenskapssamfundet i Lund; 27), S. 55 (Arbor fici synagoga est cum populo Iudaeorum); Bedae Venerabilis Opera, pars II, 3. Cura et studio D. Hurst, Turnhout 1960 (CCSL; 120), S. 601 (In Marcum, IV,13). Weitere Belege sind bei Reinildis Hartmann: Allegorisches Wörterbuch zu Otfrieds von Weißenburg Evangeliendichtung. München 1975, S. 133 f. s. v. »fîgboum«, zusammengetragen (den Hinweis auf dieses auch jenseits der Otfried-Forschung nützliche Werk verdanke ich Niels Bohnert, Trier). Seltener finden wir diese Exegese in Bezug auf Mt 12,33 (»Entweder der Baum ist gut – dann sind auch seine Früchte gut. Oder der Baum ist schlecht – dann sind auch seine Früchte schlecht«). Diese Sentenz wird von den meisten Kirchenvätern im moralischen Sinne als Aufforderung zur rechten Nachfolge gefasst. Die vereinfachende Zuordnung von arbor bona und arbor mala zu Christus und seinen pharisäischen Kontrahenten scheint dagegen eine frühmittelalterliche Innovation zu sein; wir finden Sie im 9. Jahrhundert bei Hrabanus Maurus (gest. 856).Hrabanus Maurus, Expositio in Matthaeum. Cura et studio B. Löfsted, Turnhout 2000 (CCCM; 174), S. 362 (E contrario uero arbor mala diabolus est et omnes, qui ad eum pertinent, hoc est scribae et Pharisaei, et haeretici atque schismatici et ceteri iniqui qui ex illa pessima radice pullulant). Bei Lamberts Zeitgenossen Anselm von Laon und dessen Schule geht diese Ansicht in die Glossa Ordinaria zur Bibel ein: Anselm von Laon et al., Evangelium secundum Matthaeum. In: PL 114, Sp. 127d (Mystice arbor bona, Christus; fructus, praedicatio Evangelii; curationes, redemptio. Arbor mala diabolus et sui, id est, Scribae et Pharisaei: et caeteri mali fructus, invidia, detractio, blasphemia, haeresis et hujusmodi). Erst bei pseudo-Beda und Otfried von Weißenburg (gest. 875) wird arbor mala allgemeiner auf die »Judaei« bezogen.Ps.-Beda, Expositio in evangelium Matthaei. In: PL 92, Sp. 63c (Arbor bona Christus est, fructificans salutem; arbor mala, diabolus perditionem proferens consentientibus sibi: sive Judaei mala arbor merito dicuntur, qui fructum bonae operationis arbori malae, id est, diabolo deputabant); davon abhängig Otfridi Wizanburgensis Glossae in Matthaeum. Cura et studio C. Grifoni, Turnhout 2003 (CCCM; 200), S. 174. Eine Weißenburger Handschrift des 9. Jahrhunderts mit dem Matthäuskommentar des pseudo-Beda ist erhalten in Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 60 Weiss., und verfügbar unter <https://diglib.hab.de/mss/60-weiss/start.htm>. Die Glossa Ordinaria, die zu Lamberts Lebzeiten in der Schule Anselms von Laon entstand, deutet das Bild von der »Axt«, die bereits an die Wurzel gelegt sei (Mt 3,10), als Hinweis auf das »Ende des jüdischen Volkes«.Anselm von Laon et al., Evangelium secundum Matthaeum. In: PL 114, Sp. 80d–81a (›Securis‹. Christus, qui ex manubrio constat et ferro, id est, humanitate qua tenetur, et divinitate quia incidit. ›Posita est‹: quia etsi per patientiam exspectat, videt tamen quid est facturus. ›Ad radicem‹. Id est, finem Judaici populi, ut auferat de terra viventium eos qui in Christo non credunt.) Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Erinnerung an den Ersten Kreuzzug (1096) und die damit verbundenen Judenverfolgungen hatte diese Auslegung eine besondere Relevanz; auch für Lamberts ganz eigenes Interesse an der Figur des Jüdischen ist dieser aktuelle Zusammenhang sicher zu berücksichtigen.Vgl. Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 4–6. Sein Nachdenken über Juden und Judentum steht, wie Tollebeek gezeigt hat, in einer eschatologischen Perspektive.So Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 16–21. Vgl. dazu beispielsweise Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 113 f. Nr. 180, S. 149 f. Nr. 247 f., dazu auch S. 175, 186 f. Heilsgeschichtlich und naturkundlich interessiert, suchte der Kompilator des Liber floridus aber zugleich nach Möglichkeiten der Verallgemeinerung und moralischen Einordnung.Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 14: »Lambertus wil voraal de problematiek generaliseren.«Die Zuordnung von caritas und cupiditas zu den Wurzeln der beiden Bäume ist schon bei Augustinus zu finden.Augustinus, De gratia Christi et de peccato originali. In: Opera, vol. 8,2. Edd. C[arolus] F[ranciscus] Vrba et J[oseph]. Zycha, Wien 1902 (CSEL; 42), S. 141 (ältere Edition: PL 44, Sp. 370). Dass Lambert dieses Begriffspaar für die Ordnung seiner Bildwelt verwendet, mag also der Konvention geschuldet sein. Zugleich jedoch fügt sich die Zuordnung der cupiditas zur Synagoge ebenfalls ein in jene christliche Auslegungstradition, die alles »Jüdische« mit dem (bloß) »Fleischlichen« und Materiellen assoziierte. Ausgehend von dem Vorwurf, Juden läsen die Schrift allein mit Blick auf deren praktische Befolgung (versinnbildlicht in der Beschneidung, daher »fleischlich«) und hätten keinen Sinn für ihre spirituelle Bedeutung,Eine erste Recherche in der Latin Library (http://www.brepolis.net/) mit der Suchphrase »carnal* + iudae*« ergab 563 Treffer. Vgl. auch Heinz Schreckenberg: Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld. Bd. 1 (1.–11. Jh.), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1995 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie; 172), S. 185 (Justinus Martyr), 306 (Ambrosius), 316 (Prudentius), 327 (Chrysostomus), 335, 339 (Hieronymus), 497 (Agobard von Lyon). mutmaßte man bald, dies sei darauf zurückzuführen, dass sie dies um der irdischen, materiellen Belohnung willen täten, die ihnen Gott im ›Alten Testament‹ dafür versprochen habe.Beispiele: Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera, pars II: Opera Montanistica. Cura et studio A. Gerlo, Turnhout 1954 (CCSL; 2), S. 955 (De resurrectione mortuorum, c. 26: sic iudaei terrena solummodo sperando caelestia amittunt); Isidor von Sevilla, Quaestiones in Vetus Testamentum. In: PL 84, Sp. 253 (In Genesim, 20,3: sed non perveniunt ad regnum promissum nec haeretici, nec Judaei, quia carnalia lucra sectantur); Ruperti Tuitiensis De sancta Trinitate et operibus eius, Libros XXXIV–XLII: De Operibus spiritus sancti. Edidit Rhabanus Haacke. Turnhout 1972 (CCCM; 24), S. 2006 f. (lib. V, c. 26); Aelredi Rievallensis Sermones I–XLVI. Collectio Claraevallensis prima et secunda. Recensuit Gaetano Raciti. Turnhout 1989 (CCCM; 2A), S. 41 (sermo 4, c. 18: Quod autem illi carnales Iudaei glorificabant Dominum, ideo faciebant quia eis Dominus terrena bona promittebat); Isaak von Stella, Predigten II, lateinisch/deutsch. Eingel. von Wolfgang Gottfried Buchmüller. Freiburg i. Br. 2014 (Fontes Christiani; 52/2), S. 482 (sermo 26,16: Iudaei namque in observantiis mandatorum et praemiis observationum sola semper temporalia ac terrena attendentes, dum carnalibus solum inhiant, omnem spiritualis intelligentiae fructum in lege suffocant). Mit der Zeit wird auf diese Weise carnalis zur Chiffre für eine angeblich materiell dominierte Werteordnung, das Judentum wird als eine Religion des Materiellen denunziert.Eine ähnliche Kodierung finden wir erneut in Karl Marx’ Kritik der bürgerlichen Gesellschaft; vgl. Karl Marx, Zur Judenfrage. Hg. und eingel. von Stefan Grossmann. Berlin 1919, S. 42 (»Welches ist der wirkliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welche ist sein weltlicher Gott? Das Geld.«), S. 45 (»Das Geld ist der eifrige Gott Israels, vor welchem kein anderer Gott bestehen darf. Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen – und verwandelt sie in eine Ware«).3Rentenkauf und »Judenwucher«Seit dem 12. Jahrhundert hatten sich christliche Theologen zunehmend mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Menschen sich moralisch korrekt in der zunehmend komplexer scheinenden Welt des Wirtschaftslebens verhalten sollten. Bekanntlich radikalisierte die römische Kirche in dieser Zeit das Verbot des Geldverleihs gegen Zins; zugleich hatten die Beichtväter immer wieder Zweifelsfälle vor sich, für die in einer wachsenden Literatur von Bußbüchern und Beichtspiegeln Lösungen gesucht wurden.Vgl. Hans-Jörg Gilomen: Wucher und Wirtschaft im Mittelalter. In: Historische Zeitschrift 250 (1990), S. 265–301; Gerhard Rösch: Wucher in Deutschland 1200–1350. Überlegungen zur Normdidaxe und Normrezeption. In: Historische Zeitschrift 259 (1994), S. 593–636; Christoph Cluse: Zum Zusammenhang von Wuchervorwurf und Judenvertreibung im 13. Jahrhundert. In: Judenvertreibungen in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. von Friedhelm Burgard, Alfred Haverkamp und Gerd Mentgen. Hannover 1999 (Forschungen zur Geschichte der Juden; A9), S. 135–164; Odd Langholm: The Merchant in the Confessional: Trade and Price in the Pre-Reformation Penitential Handbooks. Leiden 2003 (Studies in Medieval and Reformation Thought; 93). Auch dafür wurde mit der Figur des »Juden« bzw. des »Jüdischen«, die, wie wir sahen, von jeher mit der Vorstellung einer besonderen Verhaftung im bloß Materiellen (»Fleischlichen«) assoziiert war, eine Kategorie genutzt, die dabei half, die Komplexität der Fragen zu reduzieren und die ökonomische Welt nach Gut und Böse zu ordnen. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diese Hypothese anhand des Streits um den so genannten Rentenkauf zu überprüfen.Der Rentenkauf war überall in Mitteleuropa bis zum 14. Jahrhundert zu einem wichtigen Kreditinstrument geworden. Ohne auf die Einzelheiten eingehen zu könnenMaßgeblich Hans-Jörg Gilomen: Der Rentenkauf im Mittelalter. Habil.-Schrift Universität Basel, 1984, online unter <https://www.hist.uzh.ch/dam/jcr:ffffffff-e319-f1e9-ffff-ffff92c8b4ad/Rentenkauf.pdf> (zuletzt aufgerufen am 04.04.2022)., sei diese Kreditform hier kurz und sozusagen idealtypisch skizziert: Eine Person oder Institution (A) verkauft dabei an eine andere (B) für einen Kaufpreis (C) das Recht auf den Bezug einer in Zukunft (meist jährlich) zu leistenden Abgabe (D), die als Zins (census) beziehungsweise Rente (redditus) bezeichnet wird. Dies kann auf Dauer (als Ewigrente) oder für die Lebenszeit des Rentenkäufers (als Leibrente) vereinbart werden. Im Unterschied zu einem Darlehen, das vom Gläubiger nach Ablauf der Frist zurückgefordert werden konnte (gegebenenfalls mit gerichtlichen Mitteln), konnte das Rentenverhältnis, wenn überhaupt, nur durch den Verkäufer durch (angekündigte, nur zu bestimmten Terminen erlaubte) Rückzahlung der ursprünglichen Kaufsumme beendet werden. Es war diese Ablösbarkeit, die lange umstritten war, die aus dem Rentenkauf erst ein so gängiges Kreditinstrument machte.Es ist unschwer zu erkennen, dass dieser Kaufvertrag auch als verzinslicher Kredit gelesen werden kann: Der Verkäufer der Rente ist dabei der Kreditnehmer, der Rentenkäufer ist Kreditgeber und wird zum Gläubiger; der Kaufpreis steht für die Kreditsumme, die Rentenhöhe entspricht den jährlichen Zinsen. Vergleicht man diese Kreditform mit den zeitgenössischen Krediten bei jüdischen oder lombardischen Geldverleiherinnen oder -verleihern, fallen jedoch Unterschiede ins Auge: In der jeweiligen Ausgestaltung standen den langfristigen Rentenkrediten meist kurzfristige Kredite bei Juden und Lombarden gegenüber; der hypothekarischen Sicherung mit Immobilien die Faustpfänder; den eher hohen die eher mittleren bis niedrigen Leihsummen; den mäßigen Zinssätzen von 5 bis 10 Prozent p. a. die hohen Zinsen von zwei Pfennigen pro Pfund und Woche. Angesichts der offensichtlich günstigeren Kreditkonditionen bei Renten stellt sich die Frage, warum man überhaupt zu jüdischen Geldverleihern ging.Zum Nebeneinander der beiden Kreditformen auf demselben Markt gibt es noch nicht viele Studien. Wichtige Fallbeispiele erörtern Markus J. Wenninger: Geldkreditgeschäfte im mittelalterlichen Erfurt. In: Erfurt – Geschichte und Gegenwart. Hg. von Ulman Weiss. Weimar 1995 (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt; 2), S. 439–458, und Gabriela Signori: Schuldenwirtschaft. Konsumenten- und Hypothekarkredite im spätmittelalterlichen Basel. Konstanz 2015 (Spätmittelalterstudien; 5). Hier ist ein funktionales Ineinandergreifen anzunehmen, das heißt, dass jüdische Kredite nicht selten zur Zwischenfinanzierung genutzt wurden, wenn der Zinstermin nahte und der Rentenschuldner gerade nicht flüssig war. Aus dem erhöhten Ausfallrisiko ergab sich der notwendigerweise höhere Zinssatz bei den jüdischen Darlehen.David Schnur: Die Juden in Frankfurt am Main und in der Wetterau im Mittelalter. Christlich-jüdische Beziehungen, Gemeinden, Recht und Wirtschaft von den Anfängen bis um 1400. Wiesbaden 2017 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen; 30), S. 561, spricht in diesem Zusammenhang von der »Rückversicherungsfunktion« jüdischer Kredite. Vgl. auch ebd., S. 100, 334 f. sowie zum vergleichsweise hohen Ausfallrisiko ebd., S. 349 (»knapp 30 Prozent« der abgeschlossenen Kreditverträge landeten vor Gericht).Sofern man den Rentenkauf als verzinslichen Kredit las, lief er natürlich dem kirchlichen Zinsverbot zuwider. Schon im späten 13. Jahrhundert formulierte der Pariser Gelehrte Heinrich von Gent (gest. 1293) die wesentlichen Einwände gegen die Erlaubtheit des Rentenkaufs in mehreren öffentlichen Disputationen.Zu den gattungsspezifischen Besonderheiten in Heinrichs Quodlibet-Diskussionen vgl. Giovanni Ceccarelli: »Whatever« Economics. Economic Thought in Quodlibeta. In: Theological Quodlibeta in the Middle Ages, vol. 1: The Thirteenth Century. Ed. by Christopher Schabel. Leiden 2006 (Brill’s Companions to the Christian Tradition; 1), S. 475–505. Seine Kritik lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass es keine hinreichende Abgrenzung des Rentenkaufs vom Darlehensgeschäft gebe.Fabiano Veraja: Le origini della controversia teologica sul contratto di censo nel XIII secolo. Roma 1960 (Storia ed economia; 7); Odd Langholm: Economics in the Medieval Schools. Wealth, Exchange, Value, Money and Usury according to the Paris Theological Tradition 1200–1350. Leiden, New York and Köln 1992 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters; 29), S. 249–275; vgl. Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 9 mit Anm. 17. Trotz der Tatsache, dass Heinrichs Schlussfolgerungen von maßgeblichen Zeitgenossen abgelehnt wurden,Veraja, Le origini (wie Anm. 36), unterscheidet mehrere Phasen der Auseinandersetzung. In der dritten Phase verortet er die ausführliche Darlegung Gottfrieds von Fontaines und die Schrift des Ägidius Romanus OESA. Zur Chronologie vgl. ebd., S. 178, zum Stand der Diskussion Anfang des 14. Jhs. S. 168–177, außerdem Langholm, Economics (wie Anm. 36), S. 276–298, bes. S. 293 f. kam die Debatte um die Erlaubtheit des Rentenkaufs im Spätmittelalter lange nicht zur Ruhe. Die Entscheidung Papst Martins V. in der Bulle Regimini universalis von 1425, die den Rentenkauf mit Rückkaufklausel für wucherrechtlich unproblematisch erklärte, sorgte für eine gewisse Beruhigung;Winfried Trusen: Spätmittelalterliche Jurisprudenz und Wirtschaftsethik. Dargestellt an Wiener Gutachten des 14. Jahrhunderts. Wiesbaden 1961 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 43), S. 212–214. im weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts polemisierten Angehörige der Bettelorden, insbesondere Franziskanerobservanten, aber weiterhin gegen den Rentenkauf.Offenbar hatte die Praxis in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nochmals erheblich zugenommen. Dies ist jedenfalls die geschilderte Ausgangssituation einer wenig bekannten Schrift De contractibus reddituum, die dem Zisterzienser-Magister Konrad von Ebrach (gest. 1399)Die Zuschreibung ist nicht gesichert; vgl. Kassian Lauterer: Konrad von Ebrach S. O. Cist. († 1399). Lebenslauf und Schrifttum. In: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis 17 (1961), S. 151–214; 18 (1962), S. 60–120; 19 (1963), S. 3–50, hier Teil 3, S. 22–26. Beiläufig erwähnt wird die Schrift von Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 3, Anm. 11, und S. 21, Anm. 68, bei Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 9, sowie zuletzt in Matthias Nuding: Geschäft und Moral. Schriften ›de contractibus‹ an mitteleuropäischen Universitäten im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert. In: Schriften im Umkreis mitteleuropäischer Universitäten um 1400. Lateinische und volkssprachige Texte aus Prag, Wien und Heidelberg: Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Wechselbeziehungen. Hg. von Fritz Peter Knapp, Jürgen Miethke und Manuela Niesner. Leiden 2004 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; 20), S. 40–62, hier S. 43 f. Insgesamt wird dem Traktat in der bisherigen Forschung nur geringe Bedeutung beigemessen. zugeschriebenen wird.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum, ediert in Christoph Cluse: Rentenkauf und »Judenwucher«. Ein Prager Rentenkauf-Traktat von ca. 1375–78, dem Zisterzienser Konrad von Ebrach (gest. 1399) zugeschrieben. In: Historia Judaica. Miszellen zur jüdischen Geschichte (Mittelalter und Frühe Neuzeit), 20.10.2021, zuletzt aktualisiert am 22.03.2022, online unter <https://judaica.hypotheses.org/504>. Die Edition kann dort als PDF heruntergeladen werden. S. 1: uti communiter inolevit … in pluribus locis ut audivi; S. 24: eo modo quo communius inolevit. Der Text geht auf eine öffentliche Disputation zurück, die an der Prager Universität zwischen 1375 und 1378 stattfand.Das Datum ergibt sich aus der Erwähnung Papst Gregors XI. (1371–1378): Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 16. Der Verfasser sagt, seine Argumente dienten nur der akademischen Auseinandersetzung in einem Verfahren, bei dem er die Vertretung des ablehnenden Standpunkts übernommen habe.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 1: Cum scriptura Iob iv. sic dicat: »conceptum sermonem quis tenere poterit« (Iob 4,2), uti promisso promisi alias, gratia scolastice collationis et inveniende veritatis rationes secundi principales in medium ducam, negativam dicte questionis persuadentes, quatinus subtiliores inde moti caritate dignentur earum solutiones michi et michi similibus impartiri, et ego oppositas rationes vel auctoritates cum correctione sancte matris ecclesie sapientiumque reverendissimi in Christo patris ac domini mei Iohannis Pragensis ecclesie archiepiscopi ac universitatis nostre Pragensis cancellarii temptabo dissolvere iuxta posse, non intendens aliquid pertinaciter asserere vel defendere, ymmo paratus omnino cunctis, que prefati in hiis diffinierunt, assentire. Seine Rhetorik lässt aber die Vermutung zu, dass es ihm um mehr zu tun war als um eine akademische Pflichtübung. Kurz zusammengefasst, läuft seine Argumentation auf sechs Punkte hinaus: Erstens widerspreche die Praxis des Rentenkaufs den biblischen Geboten der Nächstenliebe und damit zugleich dem Naturrecht.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 3–6 (cap. 1–2), vgl. auch S. 20–22 (cap. 13–14). Zweitens unterscheide sich der Rentenkaufvertrag nur dem Namen nach von einem Darlehensvertrag (dem mutuum).Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 6–13 (cap. 3–4). Drittens handle es sich um keinen echten Kauf, weil weder die Ware noch der Preis genau bestimmt werden könnten;Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 13–17 (cap. 6–8). fünftens sei es auch unlogisch, vom Kauf eines Rechts zu sprechen; denn dass (10) der gerechte Preis für das Recht auf (10 + 1) sein solle, widerspreche der Vernunft.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 17 f. (cap. 9), vgl. auch S. 21–23 (cap. 14–19). Sechstens werde nicht nur beim Darlehensgeschäft, sondern auch beim Rentengeschäft mit der Zeit gerechnet, die hier zu einem Werkzeug der zunehmenden Verknechtung werde, obwohl sie doch schon im Alten Testament zur Befreiung aus der Knechtschaft im Sabbatjahr vorgesehen sei.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 18–20 (cap. 10–12), vgl. auch S. 23 f. (cap. 20).Für den vorliegenden Zusammenhang ist vor allem Konrads zweites Argument von Belang:Wenn ceteris paribus der ganze Vertrag zwischen A und B mit ganz denselben Absichten auf beiden Seiten und nur mit der Änderung vorgenommen würde, dass der Käufer sagt und schriftlich festhält »ich leihe Dir [= A] zehn für eins« und so weiter, und A unter derselben Bedingung den Vertrag akzeptierte – dann würden doch alle ihn als Wuchervertrag werten, den die Heiligen und das Kirchenrecht verdammen.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 6: Tertio principaliter, si ceteris paribus totus contractus inter A et B fieret omnino sub eisdem intentionibus eorundem sicut modo, illo solum dempto pacto quod B diceret et in littera scribi faceret »mutuo tibi« – scilicet A – »decem pro uno« etc., et A sub eodem pacto acceptaret, tunc ab omnibus iudicaretur contractus usurarius, quem sancti dampnant et decreta.Er fährt fort: »Solche Bezeichnungen sind Wörter, die ganz nach dem Willen der Vertragsparteien gewählt werden, und eine Äußerlichkeit der genannten Verträge.«Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 8: quia tales denominationes sunt omnino ad placitum instituentium vocabula et omnino contractibus dictis extrinsice. In einem Bild zusammengefasst: »Du kannst einen Hund waschen und kämmen, aber er wird doch einer bleiben. So wird auch jener Kontrakt derselbe bleiben und gleich unerlaubt, ganz gleich wie er genannt werden mag.«Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 6: Ablue igitur et pecte canem, canis est et permanet idem. Sic et ille contractus idem permanet et eque illicitus, qualitercumque nominetur.An dieser Stelle kommen auch die Juden ins Spiel: Müssten die Christen, und besonders die Prälaten und Gelehrten unter ihnen, den Juden nicht sagen, dass sie ihre Wucherverträge nur als Kaufverträge bezeichnen bräuchten, um sie so zu erlaubten Verträgen zu machen? Dies würde doch auch jenen Christen etwas nützen, die ihnen Häuser vermieten, denn sie würden sich dann nicht mehr solchen (spirituellen) Gefahren aussetzen wie sie es jetzt tun.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 7: Cum igitur precepit Apostolus, ymmo dominus per Apostolum, quod »honeste ambulemus ad eos qui foris sunt«, I. Thess. iv. (1 Th 4,12), numquid igitur non essent reprehensibiles christiani et maxime prelati et litterati, quod non docerent iudeos istos ut suos contractus usurarios cum christianis etiam »emere et vendere« nominarent, sic quod tales contractus ipsorum licitos redderent et christiani locantes eis domos non tot se supponerent periculis uti modo? Hier verweist der Text auf die zeitgenössische Diskussion um den Kanon 26 Usurarum voraginem des zweiten Konzils von Lyon, der die Vermietung von Häusern oder Geschäftsräumen an »landfremde Wucherer« mit Exkommunikation bedrohte. Unter den »landfremden Wucherern« verstand man damals offenkundig die sogenannten Lombarden; doch wie Rowan Dorin gezeigt hat, tendierten die Kanonisten im 14. Jahrhundert zunehmend dahin, auch die Vermietung an Juden sei darunter zu fassen. Siehe Rowan W. Dorin: Canon Law and the Problem of Expulsion. The Origins and Interpretation of Usurarum voraginem (VI 5.5.1). In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 99 (2013), S. 129–161; Ders.: »Once the Jews have been Expelled«: Intent and Interpretation in Late Medieval Canon Law. In: Law and History Review 34:2 (2016), S. 1–28. Vgl. auch Christoph Cluse: Darf ein Bischof Juden zulassen? Die Gutachten des Siffridus Piscator OP (gest. 1473) zur Auseinandersetzung um die Vertreibung der Juden aus Mainz. Trier 2013 (Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Studien und Texte; 7), S. 57. In der Praxis der geistlichen Gerichte dieser Zeit gibt es tatsächlich auch einige Fälle; vgl. zukünftig Christoph Cluse: Jews, Ecclesiastical Courts, and Bishops in Later Medieval Germany. In: Bishops and Jews in the Medieval Latin West. Ed. by Christoph Cluse, Alfred Haverkamp (†) and Jörg R. Müller. Wiesbaden 2022 (Forschungen zur Geschichte der Juden; A29).Die Willkürlichkeit der Bezeichnungen zeige sich, so Konrad, auch darin, dass an Orten, wo es »dem Namen nach christliche« Geldverleiher gebe, diese sich als »Geld- bzw. Münzkaufleute« (mercatores de pecuniis) bezeichneten. Er habe sogar gehört, in Wien gebe es einen Juden, der bei jeder Kreditvergabe sage und schreibe, er »kaufe« so und so viel pro Woche von dem Kunden, der ihm dafür ein Pfand versetze oder eine andere Sicherheit leiste. Ob man denn solche Leute bezüglich ihrer Verträge von Schuld freisprechen könne?Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 9: Audivi etiam quod in partibus ubi sunt usurarii sive feneratores christiani de nomine, illi inquam se nominant »mercatores de pecuniis«. Item in Wienna dicitur esse unus iudeus qui in omni expositione pecunie dicit et scribit quod emat super illo in septimana tantum vel tantum, qui tradidit sibi pignus vel alio modo facit sibi cautionem. Quero igitur, an tales in suis contractibus excusentur? Dass der eine, ein Christ, erlaubterweise eine zehnprozentige Rente kaufen könne, der andere, ob Christ oder Jude, aber nicht zu zehn Prozent leihen dürfe – das möge verstehen wer will! (Qui possit hoc capere capiet!)Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 9: Item quod christianus aliquis dicto modo licite possit emere unum pro decem, et omnino sit illicitum quod alter sive iudeus sive christianus mutuet eidem vel alteri ceteris paribus mille pro uno etc. – qui possit hoc capere capiet! Am Ende rufe noch der Jude (mit den Worten des Hiob) aus:»Ich schreie: Gewalt!« (Hiob 19,7) »Ihr quält mich, tretet mich mit Worten nieder und schmäht mich« (Hiob 19,2 f.), nämlich indem ihr mich einen Wucherer nennt, »und schämt euch nicht mich zu beleidigen« (Hiob 19,3). Hört doch auf euren Meister, der sagt: »worin du den anderen richtest, darin verurteilst du dich selbst« (Röm 2,1). Wenn ich aus meinem Vaterland in diese Knechtschaft geführt worden bin, sodass ich ein auskömmliches Leben nur noch mit dem Verleih von Geld auf Profit erwerben kann, dann nennst du mich einen verächtlichen Wucherer? Du aber, der du so viele der Deinen, nämlich der Christen, beraubst, wagst es, dich in aller Ruhe als »Herr« bezeichnen zu lassen? Wie einst der Pirat zu Alexander gesagt haben soll: »Weil ich mit einem kleinen Boot das Meer heimsuche, werde ich Dieb und Räuber genannt; du aber, der du mit einer großen Flotte die ganze Welt ausplünderst, nennst dich Imperator!« (vgl. Augustinus, De Civitate Dei, Buch 4, c. 4). Möge also der Christ zuerst »den Balken aus seinem Auge« herausziehen [Mt 7,4; Lk 6,42]!Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 11: Dicit tandem iudeus christianis: »ecce clamabo vim patiens« (Iob 19,7), affligitis, atteritis et confuditis me sermonibus« (Job 19,2–3), vocando me usurarium, »et non erubescitis opprimentes me«, Iob xix. (Iob 19,3). Attendite magistrum vestrum dicentem: »in quo alium iudicas te ipsum condempnas«, ad Rom. ii. (Rm 2,1). Dum namque ego tante servituti extra regnum meum paternum sim adductus, quod non valeo aliter conquirere commode vite necessaria nisi pro lucro mutuando pecunias, me dicis usurarium despectabilem? Tu vero, qui in tot etiam tuos christianos dicto modo predaris, audis te dominum nominari placabliter? Sicut olim piratam dixisse fertur Allexandro: »Quia ego parva navi mari infesto, latro dicor et raptor; tu vero qui magna classe totum mundum spolias, diceris imperator«, IV. de Civitate Dei. Quare christianus eiciat primum »trabem de oculo«, Math. VII. (Mt 7,4), et Luc. VI. (Lc 6,42).Der Rentenkauf brachte – nicht anders als der Geldverleih der Juden – oft Verschuldungsprobleme mit sich.Auch »Konrad« unterstreicht diese Problematik, indem er den Verkäufer der Rente durchweg als indigens charakterisiert. Schon in der Problemstellung formuliert er, dass die Gemeinden oder Personen coartate per indigentiam handelten, wenn sie den »Leuten mit Geld« (pecuniosis) Renten verkauften (Conradus de Ebrach [?], De contractibus reddituum [wie Anm. 40], S. 1). Sein fünftes Hauptargument (ebd., S. 9–13) ist ganz diesem Problem gewidmet, vgl. S. 9: sicque tanta fiat ultimate rerum caristia, quod multi homines fame moriantur, presertim quia tempore famis omnes terre deseruntur per incolas et multa mala cumulantur, uti constat. Tunc arguo sic: tam B exhaurit A in necessariis quam F iudeus in casu dicto, igitur tam illicitus est contractus inter B et A sicut inter F iudeum et idem A. Offenbar führte die Belastung städtischer Immobilien dazu, dass viele Häuser von ihren Besitzern nicht mehr in Stand gehalten werden konnten und verfielen.Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 80 f., 111, 117, 157 f., 162 f. Die städtische Steuerbasis erodierte, während auf der anderen Seite die Stadträte ja selbst längst der Versuchung erlegen waren, ihre Budgetdefizite durch den Verkauf von Leibrenten auszugleichen; nicht wenige Städte gingen gerade in der hier interessierenden Zeit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bankrott.Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 171–173, Anm. 406. Vgl. auch David Schnur: Uff daz dieselbe stat user den schulden desterbus kamen möge. Zur Wiederansiedlung von Juden in der Reichsstadt Wetzlar in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In: Juden in der mittelalterlichen Stadt: Der städtische Raum im Mittelalter – Ort des Zusammenlebens und des Konflikts. Hg. von Eva Doležalová. Prag 2015 (Colloquia mediaevalia Pragensia; 7), S. 79–102. Die internationale Dimension des Problems verdeutlicht Jeffrey Fynn-Paul: Civic Debt, Civic Taxes, and Urban Unrest. A Catalan Key to Interpreting the Late Fourteenth-Century European Crisis. In: Money, Markets and Trade in Late Medieval Europe. Essays in Honour of John H. A. Munro. Ed. by Martin Elbl, Ivana Elbl and Lawrin D. Armstrong. Leiden and Boston 2007 (Later Medieval Europe; 1), S. 119–145.Landesherren und städtische Magistrate reagierten auf diese Situation mit sogenannten Ablösungsgesetzen, auf deren Geschichte, Erfolg und Misserfolg hier wiederum nicht näher einzugehen ist.Ausführlich Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 105–173. Die herrschaftlichen Eingriffe bestanden vor allem darin, bestimmte für die Zinsschuldner günstige Ablösungsmodalitäten vorzuschreiben, und etwa auch für bereits laufende Verträge den Preis für den Rückkauf der Rente zu senken. Es ging also um erhebliche Markteingriffe.Das Verhältnis von Kaufpreis und Rente war im Wesentlichen von den Marktkräften bestimmt; im langfristigen Trend stiegen dabei die Preise, das heißt, die Sätze der zu zahlenden Renten sanken; vgl. Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 96 f.; Wenninger, Geldkreditgeschäfte (wie Anm. 33), S. 457 f. Damit riefen die Gesetzgeber den teils erbitterten Widerstand der Geistlichkeit hervor. Denn auf dem Rentenmarkt waren die geistlichen Institutionen und Pfarreien die wichtigsten Akteure auf Käuferseite.Über die von Gilomen versammelten Beispiele hinaus sei hier das von 1347 bis 1406 geführte Trierer Zins- und Hypothekenregister genannt (Hs. Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek, S 1571). Die 2.299 Einträge des Registers beziehen sich ganz überwiegend auf Rentenkäufe. Unter den Käufern treten Pfarrer, Stifts- und Domkanoniker und geistliche Institutionen hervor. Nach Angaben von Marzena Kessler (Trier) lauten drei Viertel aller Einträge auf Zinsen zu Gunsten geistlicher Personen oder Institutionen. Vgl. zukünftig die Einleitung zur Edition des Registers. Zu einer vorläufigen Charakterisierung vgl. Christoph Cluse: Aus dem wiederentdeckten Trierer Zinsregister von 1347–1406 (Hs. Bonn, ULB, S1571). In: Aschkenas 26 (2016), S. 67–88. Sie empfingen nicht nur viele Stiftungen in Form von Renten, sondern investierten auch einmalige Zuwendungen systematisch auf dem Rentenmarkt. Ihnen musste also unbedingt an dem Nachweis gelegen sein, dass der Rentenkauf – jedenfalls ihr Rentenkauf – wucherrechtlich unproblematisch war.Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 174–179; vgl. auch im Folgenden.Vor diesem Hintergrund sind die mindestens vier Gutachten über den Rentenkauf zu lesen, die von Wiener Gelehrten zwischen 1392 und 1394 vorgelegt wurden. Sie reagierten auf Fragen und Probleme, die offenbar durch die Ablösungsgesetze des österreichischen Herzogs Rudolf IV. (gest. 1365) entstanden waren.Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 18–20 und passim; Georg Kreuzer: Heinrich von Langenstein. Studien zur Biographie und zu den Schismatraktaten unter besonderer Berücksichtigung der Epistola pacis und der Epistola concilii pacis. Paderborn 1987 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte; 6), S. 96–101; Erich Sommerfeld: Ökonomisches Denken in Deutschland vor der frühbürgerlichen Revolution. Der »Tractatus de contractibus« des Heinrich von Langenstein. Diss. oec., Deutsche Akademie der Wissenschaften, Berlin 1969. Zwei wichtige Beiträge zu dieser Debatte stammen von Magister Heinrich Hainbuche von Langenstein genannt von Hessen, ein weiterer von seinem Freund und Kollegen Heinrich Totting von Oyta.4»Juden« bei Heinrich von LangensteinLangenstein war zweifellos die bedeutendste Figur in der Gründungszeit der Wiener Universität. Nach Studien und erster Lehrtätigkeit in Paris hatte er 1382 wegen des Schismas die Sorbonne verlassen und war 1384 vom Herzog an die neue Universität berufen worden, 1388/89 amtierte er als Dekan der theologischen Fakultät, 1393/94 als Rektor der Universität. Er starb 1397 in Wien.Thomas Hohmann und Georg Kreuzer: Art. »Heinrich von Langenstein«. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hg. von Kurt Ruh. Bd. 3, Berlin und New York 1981, Sp. 763–773; Kreuzer, Langenstein (wie Anm. 62); Fritz Peter Knapp: Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439. Graz 1999 (Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart; 2), 2. Halbband, S. 107 f. Heinrichs umfangreiches theologisches Werk nimmt aus theologischer und pastoraler Perspektive auch zu zahlreichen gesellschaftlichen Fragen Stellung. Einheit und Reform der lateinischen Kirche – wir befinden uns in der Zeit des Großen Schismas – waren ihm ein wichtiges Anliegen.Knapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 109. Er zeigt ein gewisses Interesse für das HebräischeKnapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 110. und für die Juden seiner Zeit. Als Wiener Hauptwerk Langensteins gilt sein noch ungedruckter Kommentar zum Buch Genesis, der zwar nur bis zum Kapitel 3 des biblischen Buches reicht, aber schon in dieser fragmentarischen Form vermutlich heute 5.000 Druckseiten füllen würde.Knapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 112–118. Wie Fritz Peter Knapp am Beispiel des Arbeitsbegriffes im Genesiskommentar gezeigt hat,Fritz Peter Knapp: »In Frieden höre ein Bruder den anderen an«. Geistige Auseinandersetzungen der Christen mit jüdischem Gedankengut im mittelalterlichen Herzogtum Österreich. Trier 2012 (Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Studien und Texte; 6), S. 38–50. Vgl. auch Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 44 f., welcher sich auf den im Folgenden zu besprechenden Rentenkauf-Traktat bezieht. sind die dort vertretenen Grundpositionen auch für das Verständnis von Langensteins Traktat über die Rentenverträge von grundlegender Bedeutung. Nicht zufällig steht dieser unter dem Leitwort: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen« (vgl. Gen 3,19).Henricus de Hassia dictus de Langenstein, Tractatus bipartitus de contractibus. In: Johannis Gerson Opera Omnia, Köln 1484 (GW 10713), tomus 4, fol. 185r–224r, hier fol. 185r (Teil I, Capitulum primum de iugo laboris originali). Eine kritische Ausgabe dieser in zahlreichen Handschriften erhaltenen Schrift über den Rentenkauf fehlt. Eine Transkription des Kölner Druckes habe ich 2017 in der »Bibliotheca Augustana« veröffentlicht; vgl. <https://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost14/HenricusHassia/hen_tpro.html>.Fritz Peter Knapp war es auch, der erstmals auf die in mehreren Handschriften jeweils unvollständig erhaltenen Sermones ad judaeos convertendos aus Heinrichs Feder hingewiesen hat. Diese Texte sind im deutschsprachigen Raum die frühesten erhaltenen Predigten, die sich ausdrücklich der Bekehrung der Juden zum christlichen Glauben widmen.Fritz Peter Knapp: Heinrich von Langenstein, Sermones Wiennenses ad Iudaeos convertendos. Die ältesten aus dem deutschen Sprachraum erhaltenen Judenbekehrungspredigten: Präsentation und Interpretation eines Neufunds. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 109 (2001), S. 105–117. Ob die Predigten je gehalten wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Ihr Herausgeber charakterisiert sie als ein seltenes Gesprächsangebot, das freilich von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen sei; denn trotz der vorgebrachten Absicht, in einen vorurteilsfreien Dialog einzutreten, enthalten sie über weite Strecken doch wieder die üblichen Stereotype und eben – Vorurteile.Fritz Peter Knapp: Gestörte oder verhinderte Religionsgespräche. Das Judentum der mittelalterlichen Diaspora aus der Sicht Peter Abaelards und Heinrichs von Langenstein. In: Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter. Hg. von Alois Hahn. Berlin und Münster 2006 (Geschichte – Forschung und Wissenschaft; 24), S. 55–72. Gleichwohl sei die Ansprache an die jüdischen »Brüder« in der zweiten Bekehrungspredigt bemerkenswert:… Hört uns mit offenem Ohr, und umgekehrt werden wir euch hören. Kein Zorn oder Groll möge uns entzweien, sondern die Liebe der in den heiligen Vätern begründeten Brüderlichkeit uns verbinden. Nicht möge das eine Volk das andere vor den Kopf stoßen, sondern in Frieden höre ein Bruder den andern an und der Sohn den Vater, in Freundschaft sollen sie mit einander reden und sehen, was der Grund des Zwistes ist, und mögen imstande sein, diesen zu beseitigen und einträchtig dem einen Gott in einem Glauben und einem Ritus friedlich zu dienen.Knapp, »In Frieden« (wie Anm. 67), S. 28; lateinischer Text bei Knapp, Sermones (wie Anm. 69), S. 112: … aure attenta audite nos, viceuersa audiemus vos. Non separet nos ira et rancor, sed fraternitatis in sanctis patribus amor coniungat, non proteruiet populus contra populum, sed audiat pacifice frater fratrem et filius patrem, amicabiliter conferant, videant, que sit causa discordie, vt illa remota concordes facti vni deo vna fide, vno ritu valeant placenter obedire.In der ersten Predigt heißt es:Ich habe Mitleid mit euch, o hebräische Söhne der Zerstreuung, die ihr, aus dem Fleische der heiligen Väter Abraham, Isaak und Jakob erzeugt, noch nicht zur himmlischen Segnung, welche Euch einst im Messias verheißen wurde, gelangt seid, daher freilich deren Söhne – dem Fleische, nicht (aber) dem Geiste nach. Dem Geiste nach sind mit größerem Recht ihre Söhne: alle aus den Heidenvölkern zur Erkenntis des einen wahren Gottes Versammelten, welche der von Gott den Vätern vor vielen Jahrhunderten gegebenen göttlichen Verheißung teilhaftig wurden. Und dadurch haben einige mit euch ein Band der Verbrüderung oder Verwandtschaft geknüpft. Kraft (dieses Bandes) bin ich als einer von denjenigen, welche den Glauben an den wahren Gott von den Juden erlangt haben, gewiss in gleicher Weise auch vom Eifer für euer Heil ergriffen und erleide euretwegen Schmerz, o Brüder aus dem Samen der Väter, die ihr im Elend zurückgelassen seid.Übersetzung nach Knapp, Religionsgespräche (wie Anm. 70), S. 63; lat. Text ebd., Anm. 14: Misereor super vos, o Hebrei filij dispersiones de carne sanctorum patrum Abraham, Ysaac et Jacob progeniti nondum benediccionem celestem patribus olim in christo promissam consecuti, ob hoc filij quidem eorum secundum carnem non spiritu, quo verius filij eorum sunt omnes ad agnicionem unius veri dei de gentibus collecti, qui divine promissionis patribus longe in ante seculis, a deo facte participes effecti sunt. ac per hoc ad vos nonnulli confraternitatis seu affinitatis vinculum contraxerunt. Quo quidem ego qualiscumque unus de illis, qui fidem veri dei ex Iudeis consecuti sunt, pariter et zelo vestre salutis commotus doleo super vos, o fratres, de semine patrum in miserijs relicti.Die Abstammung von den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob, einerseits aus dem Fleisch oder dem Samen, andererseits (und in einem höheren Sinne wahrhaftig) im Geiste, begründet also eine Art Brüderlichkeit zwischen Juden und Christen, die als Grundlage des Gesprächs dienen soll (jedenfalls sollen die Juden ihm, Langenstein, zuhören).Die Kategorie der Abstammung, dem Fleische (de semine) oder dem Geiste nach, greift der Verfasser auch in seinem zweiteiligen Rentenkauf-Traktat auf, freilich im Rahmen einer Polemik, deren Heftigkeit verstört. Gegen Ende des ersten Hauptteils spricht Langenstein die fortdauernde Existenz der Juden unter den Christen an, deren Ursache er vor allem in der Habgier der weltlichen Herrschaftsträger verortet – den Geldhandel (»Wucher«) der Juden duldeten sie aus eigennützigen Motiven (ein nicht gerade neues Argument).Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 196v–198v (Teil 1, c. 25–30), hier bes. fol. 197v (c. 28 Quibus rationibus christiani iudeos sibi cohabitare permiserunt); dazu Sommerfeld, Ökonomisches Denken (wie Anm. 62), S. 167; Cluse, Wuchervorwurf (wie Anm. 31); Cluse, Darf ein Bischof (wie Anm. 51). Mag sein, argumentiert er, dass den Juden im Gesetz (d. h. in der Tora) der Verleih gegen Zinsen an Heiden erlaubt war (vgl. Dt 23,20 f.); heute begingen sie eine Sünde, wenn sie Zinsen von den Christen verlangen, denn diese seien die wahren Juden »dem Geiste nach, wenngleich nicht nach dem Fleische«.Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 196v (Teil 1, c. 25): Magis ergo peccant iudei nunc ubicumque gentilibus ad usuram concedunt quam olim. Maxime autem et gravissime peccant mutuando ad usuram illis, qui Christum receperunt, scilicet christianis, qui vere iudei sunt secundum spiritum, licet non secundum litteram. Vgl. ebd., fol. 195v (c. 23). Die Hintergründe dieses Verhältnisses entwickelt Langenstein dann folgendermaßen:Zur Zeit der Verkündigung des Evangeliums, als das Licht der himmlischen Lehre kräftig in der Welt leuchtete, haben viele aus beiden Völkern, also sowohl Heiden als auch Israeliten, die Gnade Gottes dankbar angenommen und der Wahrheit geglaubt. Sie haben sich vertrauensvoll in der katholischen Einheit des umfassenden Glaubens, jenseits dessen es kein Heil mehr gibt, versammelt. Dabei haben sie aus beiden Völkern, also sowohl dem heidnischen als auch dem jüdischen, viele hinter sich gelassen, die nicht glauben wollten und der göttlichen Gnade gegenüber undankbar blieben, die man zu Recht mit der Spreu oder dem Kot (fecibus) oder mit jedweden anderen unnützen und überflüssigen Resten vergleichen kann.Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 196v (Teil 1, c. 26): Hic pro origine huius rei hoc advertendum est, quod tempore predicationis evangelii, lumine celestis doctrine per mundum perseveranter coruscante, multi utriusque populi, gentiles videlicet et israelitici, gratiam Dei exultanter amplectentes et veritati credentes in unitatem catholice, id est universalis fidei, extra quam non est amplius salus, fideliter concurrerunt, relictis de utroque populo, scilicet gentili et iudaico, plurimis incredulis gratie Dei ingratis, comparandis recte paleis aut fecibus aut aliis quibuslibet reliquiis inutilibus et superfluis.Das Bild von Spreu und Weizen ist recht geläufig, das von den feces nicht.Die noch nicht zum Christentum bekehrten »Überreste« des jüdischen Volkes bezeichnet auch Thomas von Aquin in Anlehnung an Jes. 49,6 gelegentlich als faeces Israel; vgl. Thomae Aquinatis Catena Aurea in Quatuor Evangelia, Vol. 1, cura Angelici Guarienti. Taurini, Romae 1953, S. 430 (In Marcum, Praefatio); Summa Theologiae. Cura et studio Petri Caramello, Pars Prima et Prima Secundae. Torino 1952, S. 446 (qu. 98, art. 4); Super Evangelium S. Matthaei lectura. Cura Raphaelis Cai. 5. Aufl., Taurini, Romae 1951, S. 56 (c. 4, lectio 2, no. 359). Der Bibelvers hat aber keine nennenswerte antijüdische Auslegungstradition erfahren. Langenstein wird hier noch deutlicher: Wenn man die Reste aus beiden Völkern vergleiche, erwiesen sich die Reste des jüdischen Volkes als die schlimmeren, sie seien »die übelsten feces, die jeden Wein, der auf ihnen liegt, verderben«. Das Bild stammt aus der Kelterei: »So wie der Abfall des (Wein-) Schaums alles verdirbt, wenn er nicht durch den Prozess des Abschäumens aus der Mündung [= dem Zapfen des Weinfasses] ausgestoßen wird, sondern darin verbleibt.« Der Begriff feces steht hier also für die Trübstoffe, die sich bei der Gärung aus der Hefe bilden und die, wenn man sie nicht beim Abschäumen entfernt, den Wein umkippen lassen.Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 197v: Sunt namque reliquie de populo iudaico adhuc remanentes non solum sicut feces, sed sicut feces pessime, que corrumpunt omne vinum eis superpositum, sed sicut purgamentum spume, quod, si non ejiciatur ore per despumationem purificanda sed in ea resideat, totam defedat. (Für freundliche Hinweise zu diesen technischen Fragen danke ich Lukas Clemens, Trier.) In der weiteren Exploration des Begriffs vergleicht Langenstein die Juden mit Taubendreck (stercus columbinum), der die gute Erde, unter die er gemischt wird, nicht anreichere sondern verschmutze und steril mache. Mit einigem Recht könnten die Juden sogar mit den stercores patrum, den Ausscheidungen der biblischen Väter, verglichen werden. Hier wird es nun sehr körperlich: Sie seien schließlich, so Langenstein, »aus dem Körper Abrahams (hervorgegangen) und nicht seine Kinder« (de corpore Abrae egressi sunt et non sunt eius filii).Schon bei den Kirchenvätern wird den Juden die Abstammung von Abraham nur im »fleischlichen« Sinne zugestanden; vgl. etwa Augustinus, Epistolae. Recensuit Al. Goldbacher, Pars IV, Vindobonae, Lipsiae 1911 (CSEL; 57), S. 224 (ep. 196,3); Augustinus, Enarrationes in Psalmos LI–C. Curaverunt Eligius Dekkers et Iohannes Fraipont. Turnout 1956 (CCSL; 39), S. 930 (Ps. 68, sermo 2); Epiphanius, Interpretatio (wie Anm. 20), S. 32. Was also seien die gegenwärtigen Überreste der Juden anders als »sozusagen der Kot Abrahams und die stinkende Scheiße der heiligen Väter«? (Quid sunt ergo presentes iudeorum reliquie nisi quasi stercus Abrae et sanctorum patrum feces fetide?)Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 197r (Teil 1, c. 26): Sunt insuper sicut stercus columbinum, quod terram bonam, cui commiscetur, non impinguat sed demacrat et sterilem facit. Nec improprie comparantur stercoribus patrum, quia de corpore Abrae egressit sunt et non sunt eius filii. Quid sunt ergo presentes iudeorum reliquie nisi quasi stercus Abrae et sanctorum patrum feces fetide? Knapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 122, übersetzt »Misthaufen Abrahams«, was m. E. die Drastik des von Langenstein genutzten Bildes nicht hinreichend zum Ausdruck bringt. Die skatologischen Elemente der religiösen Polemik im Spätmittelalter – man denke etwa an die Figur der »Judensau« oder die Fastnachtsspiele eines Hans Folz – verdienten eine gesonderte Behandlung.In seltener Drastik übersteigert Langenstein hier die Metaphorik von der Abstammung der Juden von den Vätern secundum carnem, indem er ihnen sogar die bloß genealogische Abstammung de semine patrum abspricht. Die Gegensätzlichkeit der Bildsprache in seinen Schriften erscheint schroff.Vgl. auch Sommerfeld, Ökonomisches Denken (wie Anm. 62), S. 166. Dem dort herangezogenen Urteil, Langenstein habe die »überwältigende Fähigkeit [besessen], allergrößte Gegensätze wie Antisemitismus und metaphysische Lehre zum Judenvolke als dem Erlöservolke geschlossen in einem Denken beisammenzuhalten«, vermag ich mich nicht anzuschließen. Zu bedenken ist, dass Langensteins Rentenkauf-Traktat im Unterschied zu seinen Missionspredigten, die nur fragmentarisch und verstreut erhalten sind, eine große handschriftliche Verbreitung erfahren hat.Eine umfangreiche, aber zweifellos noch unvollständige Liste bietet Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 14 f. mit Anm. 34. Die Ausfälle gegen die Juden (Teil 1, Kapitel 24–31) sind zudem auch gesondert als »Tractatus contra iudaeos« überliefert.Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 15, Anm. 36. Ein Echo dieser Polemik findet sich sogar bei einem hussitischen Gelehrten: Jakobellus von Mies (de Stříbro, gest. 1429) übernimmt in seinem Tractatus contra usuram die Langenstein’schen Vergleiche der Juden mit feces und stercus Wort für Wort.Paul de Vooght: Jacobellus de Stříbro († 1429): premier théologien du hussitisme. Louvain 1972 (Bibliothèque de la Revue d’Histoire Ecclésiastique; 54), S. 383 f.: Sunt namque reliquie de populo iudaico ad hoc remanentes, non solum sicut feces pessime que corrumpunt omne vivum [!] in eis suppositum, sed sicut purgamentum spume. Quod si non reiciatur a re per despumacionem purificanda, sed in ea resideat, totam defedat. Sunt insuper sicut stercus columbinum, quod terram bonam cui commiscetur non impiguat, sed demacrat et sterilem facit. Nec improprie comparantur stercoribus patrum, quia de corpore Abrahe egressi sunt, et non sunt eius filii. Quid sunt ergo presentes reliquie iudeorum, nisi quasi stercus Abrahe et sanctorum patrum feces fetide! In dieser Sicht hat das Judentum jegliche Legitimität verloren; für eine Brüderlichkeit gibt es keine Grundlage mehr. Ob damit der Übergang zum Antisemitismus markiert ist, darüber könnte man nachdenken – die biologistische Metaphorik würde man vielleicht als »proto-antisemitisch« einordnen wollen. Doch sprachliche Entgleisungen sind nicht das, was einen Code begründet. Es ist die Dynamik der Kodierung, die uns interessiert.5Intentio recta – intentio ociose vivendiDamit kommen wir zurück auf den Kontext dieser Passagen, den Traktat über den Rentenkauf. Wie angedeutet, unternahmen es die Wiener Theologen Heinrich von Langenstein und sein Freund und Kollege Heinrich Totting von Oyta (ebenfalls 1397 verstorben)Zu Heinrich Totting vgl. Albert Lang: Heinrich Totting von Oyta. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der ersten deutschen Unversitäten und zur Problemgeschichte der Spätscholastik. Münster 1937 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters; 33,4–5); Knapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 125–132; Volker Zapf: Art. »Totting von Oyta, Heinrich«. In: Das geistliche Schrifttum des Spätmittelalters. Hg. von Wolfgang Achnitz mit einem einführenden Essay von Regina D. Schiewer und Werner Williams-Krapp. Berlin 2011 (Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter; 2), Sp. 548–552. Oytas Rentenkauf-Traktat ist ebenfalls im Inkunabeldruck der Werke Jean Gersons zugänglich: Heinrich von Oyta, Tractatus de contractibus. In: Johannis Gerson Opera Omnia 4 (wie Anm. 68), fol. 224r–253v. Zu den Handschriften siehe vorläufig Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 15 f. in den 1390er Jahren wohl auf eine Anfrage der Stadt Wien hin, die Erlaubtheit dieser Vertragsform nachzuweisen und die herrschaftlichen Eingriffe in Form der Ablösungsgesetze zu verurteilen. Es würde zu weit führen, die ausführliche Argumentation der beiden Gelehrten hier zu rekapitulieren.Vgl. dazu die angeführten Arbeiten von Sommerfeld, Ökonomisches Denken (wie Anm. 61); Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), sowie Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 97–101. Es sei allerdings angemerkt, dass Heinrich von Oyta dabei erstmals eine Theorie des Marktpreises entwickelte, der als »gerechter Preis« (precium iustum) gewertet werden könne.Siehe bes. Oyta, Tractatus (wie Anm. 84), fol. 231vb–232rb, und vgl. Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 127. Auch Langenstein hatte bereits unterstrichen, dass der Preis vom jeweiligen Bedarf abhing (vgl. ebd., S. 68 f.), er sprach sich aber durchaus für obrigkeitliche Preisfestsetzungen aus. Heinrich Totting scheint übrigens auf die Einwände »Konrads von Ebrach« zu reagieren; der Zusammenhang der Texte wäre einer genaueren Überprüfung wert. Kurz gefasst, kommen die beiden zu den folgenden Schlüssen: Erstens, der Rentenkauf ist meistens erlaubt, vor allem wenn die damit verbundenen Absichten nicht betrügerisch, sondern aufrichtig sind: Das Kriterium der intentio recta wird vor allem von Heinrich Totting stark gemacht.Zur intentio recta siehe v. a. Oyta, Tractatus (wie Anm. 84), fol. 227rb, 230rb, 236²va–236³ra. Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 125, äußert zu Recht: »Wie dehnbar eine solche Voraussetzung jedoch ist, liegt auf der Hand!« Es wird bei ihm ebenso wie bei Langenstein besonders für den Kauf solcher Renten ins Feld geführt, die mit religiösen Zielsetzungen verbunden sind (der laufende Betrieb des Kults, die Freistellung von Gelehrten für Studium und Lehre, Hospitalstiftungen usw.).Vgl. bes. Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 211v–212r (II, c. 16), 212v–213r (II, c. 18); Oyta, Tractatus (wie Anm. 84), fol. 243rb–244vb. Zweitens: Herrschaftliche Eingriffe in den Rentenkauf sind illegitim, und die Verluste, die den Rentenkäufern dadurch entstehen, sind ihnen bei Strafe der Exkommunikation zu restituieren.Besonders deutlich wird Heinrich von Oyta, ebd., fol. 245rb–248rb (cc. 12–17).Der Zusammenhang mit den Vorstellungen über »Juden« und »Judentum« ist nicht direkt ersichtlich. Doch enthalten beide Traktate auch Kapitel über den jüdischen Geldverleih, der in traditioneller Weise (und unhinterfragt) als »Wucher« klassifiziert wird.Zu Langensteins Behandlung der Juden vgl. oben, Abschnitt 4. Heinrich von Oyta widmet sich im 19. »Dubium« seines Traktats der Frage, Utrum licitum sit alicui homini habere commertium cum usurario emendo et vendendo (Tractatus [wie Anm. 84], fol. 249r–253v). Es wird schnell deutlich, dass er mit »Wucherern« nur Juden meint (ab fol. 250r geht es nur noch um den Umgang mit ihnen) und dass er davon ausgeht, sie lebten ausschließlich vom Wucher (de quibus constat quod solum de usuris vivunt, fol. 250rb). Oytas Auseinandersetzung mit dem Judentum äußert sich auch in einer Disputatio katholica contra Judeos, deren Text noch unveröffentlicht ist; beschrieben wird sie bei Manuela Niesner: »Wer mit juden well disputiren«. Deutschsprachige Adversus-Judaeos-Literatur des 14. Jahrhunderts. Tübingen 2005 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters; 128), S. 371–375. Jüdischer Kredit ist demzufolge nie erlaubt, er kann von vornherein keinen legitimen religiösen Zwecken dienen:Die religiöse Zielsetzung, die in einigen jüdischen Quellen angesprochen wird, nämlich dass die Geldleihe das Studium der Tora ermögliche, kommt Langenstein naturgemäß nicht in den Sinn. Vgl. dazu Martha Keil: Vom Segen der Geldleihe. Zinsennehmen und Steuerwesen in jüdischen Quellen des spätmittelalterlichen Österreich. In: Aschkenas 20 (2010), S. 215–237. Er dient vielmehr – entgegen dem biblischen Gebot (»im Schweiße deines Angesichts« usw.) – dem Zweck, in Müßiggang zu leben (der intentio ociose vivendi).Vgl. bes. Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 197r. Der herrschaftliche Schutz über die Juden und die Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit sind illegitim, weil sie ebenfalls von Habgier motiviert seien.Vgl. Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 197v; dazu Sommerfeld, Ökonomisches Denken (wie Anm. 62), S. 169: »durch eine aufreizende, den wahren Sachverhalt verkennende Gegenüberstellung des arbeitsamen Lebens der Christen und der jüdischen Arbeitsscheu beweist er uns die Mitschuld der katholischen Kirche an der Unterdrückung und Entrechtung der Juden«.Auch hier also sehen wir einmal mehr die Dynamik einer binären Codierung am Werk. »Juden« und »Jüdisches« dienen der gedanklichen Orientierung, hier auf dem noch wenig verstandenen und von vielerlei moralischer Uneindeutigkeit beherrschten Feld der Ökonomie. Damit soll nicht behauptet werden, dass die Wiener Theologen die Frage nach den Juden und ihrem Kreditwesen nur deshalb in ihre Traktate aufgenommen hätten, um das Kreditwesen der geistlichen Institutionen umso besser dastehen zu lassen. Wahrscheinlich war diese Frage ihnen von den Wiener Stadtvätern schon mitgegeben worden. Aber sie half ihnen dabei, das eigene Verhalten zu rechtfertigen, indem sie dessen vorgeblich lautere Absichten deutlicher konturierten. Die jüdische Aktivität in der Zinsleihe war – so übereinstimmend die Theologen – weder nach den Gesetzen des Alten noch denen des Neuen Testaments erlaubt. Juden konnten prinzipiell keine intentio recta vorweisen, wenn sie Geldgeschäfte mit Christen machten, weil sie eben Juden waren. Religiöse Delegitimation – bei Langenstein bis zum Äußersten getrieben – bot damit die Folie für die eigene Legitimation. So sortieren sich die Gedanken. Übrigens argumentierten die Theologen dabei im Grundsätzlichen, nicht etwa – was ebenfalls möglich gewesen wäre – mit dem Unterschied in den Zinssätzen zwischen Rentenkauf und »Judenwucher«. Angesichts der Rigorosität des Kirchenrechts, wonach alles über die Hauptsumme hinaus Geforderte als Wucher zu werten war (vgl. Grat. 14,3,3), konnten sie an solchen graduellen Unterschieden gar nicht interessiert sein. Sie gingen einfach davon aus, dass jüdischer Kredit auf jeden Fall Wucher sein musste, und suchten nach einer Unterscheidung auf moralischem Gebiet. Dabei halfen die überkommenen Muster der binären Kodierung. Ganz unabhängig von der Alltagserfahrung, dass Kredite bei Juden teuer waren, konstruierten sie den »Judenwucher« als eine gelehrte Schuldprojektion.6Binärer Code als religiöses Erbe im AntisemitismusEs geht nicht um Heinrich von Langenstein und darum, ob er im Vergleich zu anderen Zeitgenossen eher »judenfreundlich« oder »judenfeindlich« fühlte, ob er gar als Antisemit zu bezeichnen sei. Die Spannung zwischen seinen Sermones, in denen er die Juden als »Brüder« anspricht, und dem geschichtstheologischen Entwurf in seinem Rentenkauftraktat, worin er ihre abrahamitische Abstammung zu vernichten sucht, lässt sich schwerlich aufheben. Vielleicht ließe sich sagen, dass er als Theologe umso radikaler dachte, je mehr er in der Abstraktion verblieb? Oder dass er, wie Knapp vermutet, gegen Ende seines Lebens an der Verbesserungsfähigkeit der Welt zu zweifeln begann, konkret auch an der Möglichkeit, mit rationalen Argumenten in aristotelisch-scholastischer Manier die Juden von der Wahrheit des christlichen Glaubens überzeugen zu können?Knapp, Sermones (wie Anm. 69), S. 117; Ders., Literatur (wie Anm. 63), S. 120 f., vgl. Michael H. Shank: »Unless you believe, you shall not understand«. Logic, University, and Society in Late Medieval Vienna. Princeton/NJ 1988, S. 139–169.Worum es vielmehr gehen sollte, ist der Umstand, dass die Figur des »Juden« und des »Jüdischen« auf einer einfachen, binären Kodierung beruhte und dass sie damit zugleich ein starkes Werkzeug für Ordnung der Welterfahrung bot. Wir sahen dies sowohl im semi-monastischen Kontext bei Lambert von Saint-Omer, der die mönchischen Tugenden und Laster einander gegenüberstellte und die eine Seite als Ecclesia fidelium und die andere Seite mit Synagoga markierte; wir sahen es auch bei Heinrich von Langenstein und Heinrich von Oyta, denen die Figur des »Jüdischen« dazu diente, moralische Ordnung auf dem schwer durchschaubaren Feld der Kontrakte und Wirtschaftsgesetze zu schaffen.Um auf das Verhältnis zwischen Antijudaismus und Antisemitismus zurückzukommen, können wir vielleicht die These wagen, dass der christliche Antijudaismus eine simple und zugleich mächtige Dynamik der binären Kodierung in das »variable, vielschichtige und offene System« (Schäfer) namens Antisemitismus einbrachte und so zu dessen Resilienz bis in die Gegenwart hinein beitrug. http://www.deepdyve.com/assets/images/DeepDyve-Logo-lg.png Aschkenas de Gruyter

Stercus Abrahe: Binäre Codes in Antijudaismus und Antisemitismus

Aschkenas , Volume 32 (2): 28 – Dec 31, 2022

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10.1515/asch-2022-2013
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Abstract

Der vorliegende BeitragDie folgende Skizze ist Teil einer laufenden, breiter angelegten Forschung zu den Anfängen des Bilds vom ›jüdischen Wucher‹ im Spätmittelalter. Die Vortragsform wurde weitgehend beigehalten. Für wichtige Hinweise danke ich Markus Wenninger. – Abkürzungen: CCSL = Corpus Christianorum, Series Latina; CCCM = Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis; CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum; PL = Patrologiae cursus completus, Series latina. Accurante Jacques-Paul Migne, Paris 1844–1855. unternimmt den Versuch, vormoderne, mittelalterliche Quellenzeugnisse mit Blick auf den modernen Begriff »Antisemitismus« zu lesen. Zu fragen ist, ob die traditionelle Unterscheidung zwischen »Antijudaismus« (begriffen als eine im Wesentlichen auf die religiöse Differenz bezogene Ausprägung der Judenfeindschaft) und »Antisemitismus« (eine unter den Bedingungen der Moderne über das Religiöse hinausgehende, gleichsam entgrenzte »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit«) sinnvoll ist und wenn ja, wie das Verhältnis zwischen den beiden Begriffen zu fassen ist. Er nimmt dafür einen Komplex von Fremdbildern in den Blick, der vereinfacht mit dem Schlagwort »Juden und Geld« bezeichnet werden kann und der seit dem Spätmittelalter eine dauerhafte Belastung des christlich-jüdischen Verhältnisses darstellt.Vgl. Sara Lipton: A Terribly Durable Myth. The exhibition »Jews, Money, Myth« at the Jewish Museum in London. In: The New York Review, 27. Juni 2019, online unter <www.nybooks.com/articles/2019/06/27/jews-money-terribly-durable-myth/> (zuletzt aufgerufen 22.02.2022). An zwei Beispielen – dem Liber floridus des Kanonikers Lambert von Saint-Omer aus dem frühen 12. und den Diskussionen um die Erlaubtheit des Rentenkaufs im späten 14. Jahrhundert – soll verdeutlicht werden, wie das in religiöser Polemik herausgebildete Prinzip der binären Kodierung von Gut und Böse auch die Diskurse der christlichen Mehrheit auf »weltlichen« Feldern der Beschreibung von Juden und Judentum strukturiert hat. Augenfällig wird dies in den Schriften des großen Wiener Gelehrten Heinrich von Langenstein (gest. 1397), der Juden einerseits als »Brüder« anzusprechen suchte und sie andererseits als stercus Abrahe verdammte.Der Beitrag nimmt zunächst (Teil 1) eine Positionsbestimmung vor mit Blick auf das Thema »Mittelalter und Antisemitismus«. Teil 2 stellt ein hochmittelalterliches Beispiel vor für das, was als »Kodierung« zu bezeichnen wäre. Überleitend (Teil 3) sind zunächst einige Worte über den mittelalterlichen Rentenkauf zu verlieren. Seine moralische Problematik wird unter Rückgriff auf einen Traktat erläutert, der dem Prager Magister Konrad von Ebrach OCist (gest. 1399) zugeschrieben wird. Vor diesem Hintergrund sind dann (Teile 4–5) einige zentrale Passagen aus den Werken Langensteins und seines Wiener Freunds und Kollegen Heinrich Totting von Oyta zu diskutieren, die ihre Rentenkauf-Diskussionen jeweils mit Angriffen auf die zeitgenössischen Juden verbanden. Schließen will ich mit einem kurzen Fazit, das die Leitfrage nach dem Verhältnis von Antijudaismus und Antisemitismus aufgreift.1Mittelalter und »Antisemitismus«Kann man, müssen wir mit Blick auf das Mittelalter von »Antisemitismus« sprechen? Nur wenige Mediävistinnen und Mediävisten haben sich bisher dafür ausgesprochen und dabei versucht, das Verhältnis des Begriffs zu dem des »Antijudaismus« zu klären. Zu ihnen gehört Gavin Langmuir, der 1990 »Antijudaismus« beschrieb als eine nichtrationale Feindseligkeit gegenüber Juden oder Judentum, die sich auf wirkliche Praktiken oder Glaubenssätze der jüdischen Gemeinschaft bezieht (auch wenn diese dabei oft falsch gedeutet werden). Demgegenüber sei »Antisemitismus« eine irrationale Feindseligkeit gegen Juden oder Judentum, die sich auf Praktiken oder Vorstellungen bezieht, die Juden gar nicht haben und hatten (also auf »Schimären«). Langmuir hat sich vor allem mit der Ritualmordlegende beschäftigt: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Juden aus religiösen Gründen Christenkinder ermorden würden. An dieser Stelle wären also bereits im 12. Jahrhundert antisemitische Denkweisen zu konstatieren.Gavin I. Langmuir: Toward a Definition of Antisemitism. Berkely, Los Angeles and Oxford 1990; vgl. auch Robert Chazan: From Anti-Judaism to Anti-Semitism. Ancient and Medieval Christian Constructions of Jewish History. New York 2016.Eine ähnliche Argumentationslinie vertritt neuerdings François Soyer in der kleinen Abhandlung Medieval Antisemitism?, die nicht zufällig in einer Reihe namens »Past Imperfect« erschienen ist. Auch Soyer identifiziert Motivkomplexe, die eine Kontinuität vom Hoch- oder Spätmittelalter bis in die Neuzeit aufweisen. Er hält den Begriff »Antisemitismus«, bezogen auf mediävistische Sujets, vor allem in der Pluralform für nützlich, spricht also von »Antisemitismen«. Dabei hält er drei Komplexe für besonders aufschlussreich: die Entdeckung des »Talmudjuden« im 12. Jahrhundert und die damit verbundenen Verschwörungsmotive; die Entmenschlichung des jüdischen Körpers und die damit einher gehende Dämonisierung; schließlich die häufigere Ineinssetzung von jüdischer Religion und jüdischer Genealogie oder auch »Rasse« seit dem 15. Jahrhundert. Über polemische Schriften der Frühen Neuzeit, so Soyer, seien diese Motivkomplexe in die Moderne tradiert worden.François Soyer: Medieval Antisemitism? Leeds 2019 (Past Imperfect); vgl. meine Rezension in: Francia Recensio, 2020-09-30, online unter <https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75572>.Einen radikaleren Zugriff wählt Peter Schäfer in seiner Kurze[n] Geschichte des Antisemitismus, indem er sich bewusst gegen eine »Trennung von ›Antijudaimus‹ als der spezifisch christlichen Ausprägung und ›Antisemitismus‹ als seiner völkisch-rassistischen modernen Spielart« ausspricht. Solche ›Spielarten‹ sind laut Schäfer, der seinen Ausgangspunkt beim antiken, vorchristlichen Judenhass wählt, nur Aspekte eines »variablen, vielschichtigen und offenen Systems«.Peter Schäfer: Kurze Geschichte des Antisemitismus. München 2020, S. 9 f., 11. Man kann sagen, dass Variabilität, Vielschichtigkeit und Offenheit zur besonderen Resilienz dieses Systems beitragen.Die Trierer Forschungsgruppe 2539 »Resilienz: Gesellschaftliche Umbruchphasen im Dialog zwischen Mediävistik und Soziologie« arbeitet seit 2016 an einem Resilienzkonzept, das die Nichtlinearität historischer und gesellschaftlicher Prozesse berücksichtigt. Resilienz wird demnach begriffen als »Ensemble dynamischer Prozesse von Bewältigung, Anpassung und Transformation angesichts bestandsgefährdender Herausforderungen, die sich durch flexible und kreative Rekonfiguration tradierter Elemente sowie durch die Entwicklung neuartiger Deutungs- und Handlungsmuster auszeichnen«. Resilienz wird dabei, entgegen der verbreiteten Verwendung des Begriffs, nicht normativ positiv gefasst bzw. für normativ positiv geladene Sachverhalte (etwa Gesundheit) reserviert. Als Prozesskategorie und Perspektive auf soziale Prozesse kann »Resilienz« vielmehr durchaus für die Erforschung unerwünschter sozialer Phänomene fruchtbar gemacht werden. Zur Herleitung dieses Resilienz-Begriffs vgl. u. a. den Sammelband Panarchy: Understanding Transformations in Human and Natural Systems, ed. by Lance H. Gunderson and C. S. Holling. Washington, Covelo and London 2002; zum Programm der Trierer Forschungsgruppe siehe <https://for2539-resilienz.uni-trier.de/forschungsprogramm/> (zuletzt aufgerufen am 04.04.2022). Sowohl Schäfer als auch Soyer sprechen übrigens die apologetische Tendenz an, die nicht selten im Spiel ist, wenn der »traditionelle Antijudaismus« als gleichsam harmloserer Gegenpart zum modernen »Rasse-Antisemitismus« ausgespielt wird.Schäfer, Kurze Geschichte (wie Anm. 5), S. 14; vgl. Soyer, Antisemitism? (wie Anm. 4), S. 20.Für den vorliegenden Beitrag knüpfe ich allerdings nicht an Schäfers Buch an, sondern greife auf die Überlegungen zurück, die David Nirenberg in seinem Buch Anti-Judaism vorgestellt hat. Auch Nirenberg beginnt seine Erzählung im Alten Ägypten. Ihm geht es dabei ebensowenig wie Schäfer um die Rekonstruktion einer Genealogie, sondern vielmehr um das, was die unterschiedlichen Ausformungen der Judenfeindschaft gleichsam auf einer Meta-Ebene miteinander verbindet: Warum hat das Denken in Begriffen von »jüdisch«, »die Juden« und »Judentum« in so vielen unterschiedlichen Gesellschaften des sogenannten Westens, einschließlich solcher, in denen gar keine Juden lebten, eine derartige Bedeutung angenommen? Welche Funktion hat das Denken in diesen Begriffen für die diskursive Weltwahrnehmung dieser Gesellschaften gehabt – in Nirenbergs Worten: »in their efforts to make sense of their world«?David Nirenberg: Anti-Judaism. The Western Tradition. New York 2013, S. 1–12, Zit. S. 2. Den Begriff »Antisemitism« lehnt Nirenberg (ebd., S. 3) als historisch und begrifflich zu eng für die Fragestellung seines Buches ab (»a word that captures only a small portion, historically and conceptually, of what this book is about«). Während Schäfer also eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Antijudaimus und Antisemitismus ablehnt und sich für letzteren entscheidet, verhält es sich für Nirenberg gerade umgekehrt: »Anti-Judaism« ist, geistesgeschichtlich betrachtet, für ihn der übergeordnete Begriff.2Die Welt binär kodieren: arbor malaDafür, wie die Figur des »Jüdischen« das Denken über die Ordnung der Welt kodieren und damit strukturieren konnte, lagen den Gelehrten des Lateinischen Mittelalters aus der Spätantike im Wesentlichen zwei Modelle vor, die beide mehr oder weniger binär organisiert waren: Das eine bestand darin, den Wert und die Wahrheit des sogenannten ›Alten Testaments‹ insofern anzuerkennen, als darin die grundlegenden Glaubenswahrheiten des Christentums vorgebildet waren. Durch deren Erfüllung im Christusereignis wurden sie aber durch eine neue, explizitere Offenbarung abgelöst. Diese Vorstellung wurde wohl am nachhaltigsten von dem Kirchenvater Augustinus an das lateinische Mittelalter überliefert.Jeremy Cohen: Living Letters of the Law. Ideas of the Jew in Medieval Christianity. Berkeley, Los Angeles and London 1999; Christoph Cluse: »Töte sie nicht!« Echos der augustinischen Theologie über die jüdische ›Zeugenschaft‹ im Mittelalter. In: Augustinus – Christentum – Judentum. Ausgewählte Stationen einer Problemgeschichte. Hg. von Christof Müller und Guntram Förster. Würzburg 2018 (Res et signa; 39), S. 113–156. Das andere Denkmodell ist eng damit verbunden: Denn die skizzierte Erfüllungs- und Ablösungsdynamik war bei den Kirchenvätern nicht ohne wertenden Dualismus. So nimmt beispielsweise auch Augustinus in seinem heilsgeschichtlichen Entwurf De Civitate Dei klare Zuordnungen auf der symbolischen Ebene vor: Kain und Abel, Hagar und Sara, Lea und Rachel, Esau und Jakob sind jeweils Präfigurationen nicht nur der Civitas terrena und der Civitas Dei, sondern zugleich von Judentum und Christentum. In der Heilsgeschichte stehen sich so Fluch und Verheißung, unfrei und frei, alt und neu, ›fleischlich‹ und ›geistig‹ gegenüber. Im Figurenpaar von Ecclesia und Synagoga hat diese binäre Kodierung seit dem hohen Mittelalter an zahlreichen Kirchenportalen Ausdruck gefunden.Vgl. Friedrich Ohly: Synagoga und Ecclesia. Typologisches in mittelalterlicher Dichtung [zuerst 1966]. In: Ders., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt 1977, S. 312–337; Ecclesia und Synagoga. Das Judentum in der christlichen Kunst. Ausstellungskatalog, hg. von Herbert Jochum. Ottweiler 1993; Miri Rubin: Ecclesia and Synagoga: The Changing Meanings of a Powerful Pairing. In: Conflict and Religious Conversation in Latin Christendom. Studies in Honour of Ora Limor. Ed. by Israel Jacob Yuval and Ram Ben-Shalom. Turnhout 2014 (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages; 17), S. 55–86.In einem semi-monastischen Kontext entstand im frühen 12. Jahrhundert der sogenannte Liber floridus, geschaffen von einem Regularkanoniker namens Lambert. Das erstaunliche Werk, das uns als Autograph erhalten ist,Gent, Universiteitsbibliotheek, BHSL.HS.0092 (ca. 1121); Digitalisat online unter <https://lib.ugent.be/en/catalog/rug01:000763774>; vgl. Albert Derolez: The Making and Meaning of the Liber Floridus. A Study of the Original Manuscript. Ghent, University Library, MS 92, Turnhout 2015 (Studies in Medieval and Early Renaissance art History; 76). versucht in vielerlei Hinsicht, das religiös relevante Wissen über die Welt seiner Zeit geordnet darzustellen. So enthält der Liber floridus auch zahlreiche Tafeln, Diagramme und grafische Illustrationen bestimmter Sachverhalte.Vgl. Liber floridus, 1121: The World in a Book. Ed. by Karen de Coene, Martine de Reuet and Philippe de Maeyer. Lannoo 2011; Jean-Claude Schmitt: Qu’est-ce qu’un diagramme? A propos du Liber floridus de Lambert de Saint-Omer (ca. 1120). In: Diagramm und Text. Diagrammatische Strukturen und die Dynamisierung von Wissen und Erfahrung. Hg. von Eckart Conrad Lutz. Wiesbaden 2014, S. 79–94. Der Erfolg des Werkes zeigt sich in neun erhaltenen Kopien – eine überraschend hohe Zahl angesichts seines kompilativen Charakters bei gleichzeitig hohem gestalterischem Aufwand.Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 189–193; vgl. auch Johan Tollebeek: Arbor mala. Het antijudaisme van Lambertus van Sint-Omaars. In: Studia Rosenthaliana 20 (1986), S. 1–33, hier S. 4 mit Anm. 16.Für den vorliegenden Zusammenhang ist die zweiteilige Tafel auf Blatt 231v und 232r von besonderem Interesse. Hier finden wir spiegelbildlich angeordnet links einen farbenfrohen, mit unterschiedlichen Blättern und Blüten sowie Figurenmedaillons geschmückten Baum, rechts ein blasses, eintöniges und von viel Text bestimmtes Gegenstück (vgl. Abb. 1). Die beiden Bäume heißen nicht zufällig der »gute« und der »schlechte« Baum, arbor bona und arbor mala.Zum Folgenden vgl. Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13); Linda Ijpelaar: Goede bomen, slechte bomen. Bijbelse boom- en plantsymboliek in Liber floridus. In: De groene middeleeuwen: duizend jaar grebreuik van planten (600 tot 1600). Uitg. door Claudine A. Chavannes-Mazel en Linda Ijpelaar. 2. Aufl., Eindhoven 2019, S. 168–183. Knapp: Heinz Schreckenberg: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte (11.–13. Jh.). Mit einer Ikonographie des Judenthemas bis zum 4. Laterankonzil. Frankfurt a. M. [etc.] 31997 (Europäische Hochschulschriften XXIII; 335), S. 67 f. Auf der Seite des Guten finden wir eine Vielzahl von biblisch bezeugten Gewächsen, von der Rose über die Terebinthe und die Zypresse bis zum Balsam. Dazwischen sind an den Astgabeln oder Knotenpunkten die Personifikationen menschlicher Tugenden zu sehen: Wurzelnd in der Nächstenliebe (karitas) zeigt der Baum zwölf weitere Tugenden, unter denen, wie ich meine, die für das gute Funktionieren einer Klerikergemeinschaft wichtigen besonders hervortreten: Langmut und Geduld, Keuschheit und Milde, Nüchternheit und Selbstbeherrschung.Auf der anderen Seite gibt es nur ficuli, also »kleine Feigen«. Der eintönige, ja steril anmutende Feigenbaum bringt nichts hervor als Untugenden, die den Tugenden spiegelbildlich gegenübergestellt werden: Ausgehend von der Habgier (cupiditas) finden wir hier zwölf Begriffe, unter denen Dissens und Zank, Feindschaft, Neid und Streitsucht wohl wieder auf das semi-monastische Setting dieser moralischen Weltordnung verweisen. Dafür spricht auch die Präsenz sexueller Untugenden wie fornicatio, inmunditia und luxuria sowie der religiösen Verzweiflung als Gegenpart zur »heiligen Hoffnung« auf der anderen Seite.Der um die Mitte des 11. Jahrhunderts geborene Lambert schrieb und gestaltete seinen Liber floridus über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren; seine letzten Notizen stammen von Juni 1121. Als Regularkanoniker des Marienstifts von Saint-Omer im heute französischen Teil Flanderns (Dept. Pas-de-Calais) hat er wohl selten einen leibhaftigen Juden gesehen.Zur Siedlungsgeschichte der Juden im mittelalterlichen Flandern vgl. Jo Tollebeek: De Joden in de Zuidelijke Nederlanden tijdens de late middeleeuwen. Kritisch-bibliografisch overzicht (1949–1983). In: Bijdragen tot de geschiedenis 66 (1983), S. 13–34; Christoph Cluse: Studien zur Geschichte der Juden in den mittelalterlichen Niederlanden. Hannover 2000 (Forschungen zur Geschichte der Juden; A10), S. 12 mit Anm. 2, S. 16 mit Anm. 24, S. 85. Gleichwohl dokumentiert sein Liber floridus ein lebhaftes Interesse für die zeitgenössische christliche Auseinandersetzung mit dem Judentum. Enthalten darin sind die Disputatio contra Judaeum de adventu Christi Odos von Cambrai (gest. 1113)Liber floridus, fol. 5r–10r, vgl. Derolez, Making and meaning (wie Anm. 11), S. 50 Nr. 8; Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 8 f., unmittelbar anschließend ein Exzerpt aus der Disputatio Iudaei et Christiani Gilbert Crispins (gest. 1117)Liber floridus, fol. 10r–v; vgl. Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 50 f. Nr. 9; Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 9–11. sowie schließlich in extenso eine Kopie des Traktats De fide catholica contra Iudaeos Isidors von Sevilla (gest. 636).Liber floridus, fol. 246r–252bisv; vgl. Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 160 f. Nr. 160; Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 11–14. Unmittelbar nach Isidors Traktat folgt eine Illustration, die Christus mit Ecclesia und Synagoga zeigt.Liber floridus, fol. 253r; vgl. Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 161 Nr. 292; Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 26–28.In diesen Zusammenhang ist einzuordnen, dass Lambert seine beiden Bäume zusätzlich mit den Begriffen Ecclesia fidelium einerseits und Synagoga andererseits charakterisiert. »Ecclesia« und »Synagoga« erscheinen also als Chiffren, als binäres Prinzip, als Pole in seinem Nachdenken über Gut und Böse im Zusammenhang einer Gemeinschaft, in der zweifellos niemand der »Synagoge« angehörte, in der aber schlechtes Benehmen als »jüdisch« markiert wird.Die Anknüpfungspunkte für diese Zuordnung findet Lambert in der Schrift beziehungsweise deren Auslegung: In der linken oberen Ecke der »Arbor mala«-Tafel (fol. 232r) finden wir Auszüge aus den Evangelien und einen Psalmvers. Lambert greift auf das bekannte Bild des unfruchtbaren Feigenbaums zurück, den Jesus nach Mk 11,21 verflucht haben soll. Darüber hinaus verweist er auf einen Ausspruch Johannes des Täufers bei Matthäus: Der Täufer wendet sich darin an die »Schlangenbrut« der Pharisäer und Sadduzäer (Mt 3,7) und fordert sie auf, ihre Umkehrwilligkeit mit Werken (also Früchten) unter Beweis zu stellen. »Schon ist die Axt an die Wurzel des Baumes gelegt«, droht er (Mt 3,10; dort folgt: »Jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen«). Tatsächlich sind im Bild zwei Äxte bei den Wurzeln des Baumes platziert.Abb. 1:»Liber Floridus Ghent 231v–232r«Hinsichtlich der zitierten Verse konnte Lambert auf ältere Auslegungen zurückgreifen. Dies gilt besonders für die Interpretation des verdorrten Feigenbaums als Sinnbild für die Juden.Vgl. z. B. Sancti Epiphanii Episcopi Interpretatio Evangeliorum. Ed. Alvar Erikson. Lund 1939 (Scrifter utgivna av Kungl. Humanistiska Vetenskapssamfundet i Lund; 27), S. 55 (Arbor fici synagoga est cum populo Iudaeorum); Bedae Venerabilis Opera, pars II, 3. Cura et studio D. Hurst, Turnhout 1960 (CCSL; 120), S. 601 (In Marcum, IV,13). Weitere Belege sind bei Reinildis Hartmann: Allegorisches Wörterbuch zu Otfrieds von Weißenburg Evangeliendichtung. München 1975, S. 133 f. s. v. »fîgboum«, zusammengetragen (den Hinweis auf dieses auch jenseits der Otfried-Forschung nützliche Werk verdanke ich Niels Bohnert, Trier). Seltener finden wir diese Exegese in Bezug auf Mt 12,33 (»Entweder der Baum ist gut – dann sind auch seine Früchte gut. Oder der Baum ist schlecht – dann sind auch seine Früchte schlecht«). Diese Sentenz wird von den meisten Kirchenvätern im moralischen Sinne als Aufforderung zur rechten Nachfolge gefasst. Die vereinfachende Zuordnung von arbor bona und arbor mala zu Christus und seinen pharisäischen Kontrahenten scheint dagegen eine frühmittelalterliche Innovation zu sein; wir finden Sie im 9. Jahrhundert bei Hrabanus Maurus (gest. 856).Hrabanus Maurus, Expositio in Matthaeum. Cura et studio B. Löfsted, Turnhout 2000 (CCCM; 174), S. 362 (E contrario uero arbor mala diabolus est et omnes, qui ad eum pertinent, hoc est scribae et Pharisaei, et haeretici atque schismatici et ceteri iniqui qui ex illa pessima radice pullulant). Bei Lamberts Zeitgenossen Anselm von Laon und dessen Schule geht diese Ansicht in die Glossa Ordinaria zur Bibel ein: Anselm von Laon et al., Evangelium secundum Matthaeum. In: PL 114, Sp. 127d (Mystice arbor bona, Christus; fructus, praedicatio Evangelii; curationes, redemptio. Arbor mala diabolus et sui, id est, Scribae et Pharisaei: et caeteri mali fructus, invidia, detractio, blasphemia, haeresis et hujusmodi). Erst bei pseudo-Beda und Otfried von Weißenburg (gest. 875) wird arbor mala allgemeiner auf die »Judaei« bezogen.Ps.-Beda, Expositio in evangelium Matthaei. In: PL 92, Sp. 63c (Arbor bona Christus est, fructificans salutem; arbor mala, diabolus perditionem proferens consentientibus sibi: sive Judaei mala arbor merito dicuntur, qui fructum bonae operationis arbori malae, id est, diabolo deputabant); davon abhängig Otfridi Wizanburgensis Glossae in Matthaeum. Cura et studio C. Grifoni, Turnhout 2003 (CCCM; 200), S. 174. Eine Weißenburger Handschrift des 9. Jahrhunderts mit dem Matthäuskommentar des pseudo-Beda ist erhalten in Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 60 Weiss., und verfügbar unter <https://diglib.hab.de/mss/60-weiss/start.htm>. Die Glossa Ordinaria, die zu Lamberts Lebzeiten in der Schule Anselms von Laon entstand, deutet das Bild von der »Axt«, die bereits an die Wurzel gelegt sei (Mt 3,10), als Hinweis auf das »Ende des jüdischen Volkes«.Anselm von Laon et al., Evangelium secundum Matthaeum. In: PL 114, Sp. 80d–81a (›Securis‹. Christus, qui ex manubrio constat et ferro, id est, humanitate qua tenetur, et divinitate quia incidit. ›Posita est‹: quia etsi per patientiam exspectat, videt tamen quid est facturus. ›Ad radicem‹. Id est, finem Judaici populi, ut auferat de terra viventium eos qui in Christo non credunt.) Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Erinnerung an den Ersten Kreuzzug (1096) und die damit verbundenen Judenverfolgungen hatte diese Auslegung eine besondere Relevanz; auch für Lamberts ganz eigenes Interesse an der Figur des Jüdischen ist dieser aktuelle Zusammenhang sicher zu berücksichtigen.Vgl. Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 4–6. Sein Nachdenken über Juden und Judentum steht, wie Tollebeek gezeigt hat, in einer eschatologischen Perspektive.So Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 16–21. Vgl. dazu beispielsweise Derolez, Making and Meaning (wie Anm. 11), S. 113 f. Nr. 180, S. 149 f. Nr. 247 f., dazu auch S. 175, 186 f. Heilsgeschichtlich und naturkundlich interessiert, suchte der Kompilator des Liber floridus aber zugleich nach Möglichkeiten der Verallgemeinerung und moralischen Einordnung.Tollebeek, Arbor mala (wie Anm. 13), S. 14: »Lambertus wil voraal de problematiek generaliseren.«Die Zuordnung von caritas und cupiditas zu den Wurzeln der beiden Bäume ist schon bei Augustinus zu finden.Augustinus, De gratia Christi et de peccato originali. In: Opera, vol. 8,2. Edd. C[arolus] F[ranciscus] Vrba et J[oseph]. Zycha, Wien 1902 (CSEL; 42), S. 141 (ältere Edition: PL 44, Sp. 370). Dass Lambert dieses Begriffspaar für die Ordnung seiner Bildwelt verwendet, mag also der Konvention geschuldet sein. Zugleich jedoch fügt sich die Zuordnung der cupiditas zur Synagoge ebenfalls ein in jene christliche Auslegungstradition, die alles »Jüdische« mit dem (bloß) »Fleischlichen« und Materiellen assoziierte. Ausgehend von dem Vorwurf, Juden läsen die Schrift allein mit Blick auf deren praktische Befolgung (versinnbildlicht in der Beschneidung, daher »fleischlich«) und hätten keinen Sinn für ihre spirituelle Bedeutung,Eine erste Recherche in der Latin Library (http://www.brepolis.net/) mit der Suchphrase »carnal* + iudae*« ergab 563 Treffer. Vgl. auch Heinz Schreckenberg: Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld. Bd. 1 (1.–11. Jh.), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1995 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie; 172), S. 185 (Justinus Martyr), 306 (Ambrosius), 316 (Prudentius), 327 (Chrysostomus), 335, 339 (Hieronymus), 497 (Agobard von Lyon). mutmaßte man bald, dies sei darauf zurückzuführen, dass sie dies um der irdischen, materiellen Belohnung willen täten, die ihnen Gott im ›Alten Testament‹ dafür versprochen habe.Beispiele: Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera, pars II: Opera Montanistica. Cura et studio A. Gerlo, Turnhout 1954 (CCSL; 2), S. 955 (De resurrectione mortuorum, c. 26: sic iudaei terrena solummodo sperando caelestia amittunt); Isidor von Sevilla, Quaestiones in Vetus Testamentum. In: PL 84, Sp. 253 (In Genesim, 20,3: sed non perveniunt ad regnum promissum nec haeretici, nec Judaei, quia carnalia lucra sectantur); Ruperti Tuitiensis De sancta Trinitate et operibus eius, Libros XXXIV–XLII: De Operibus spiritus sancti. Edidit Rhabanus Haacke. Turnhout 1972 (CCCM; 24), S. 2006 f. (lib. V, c. 26); Aelredi Rievallensis Sermones I–XLVI. Collectio Claraevallensis prima et secunda. Recensuit Gaetano Raciti. Turnhout 1989 (CCCM; 2A), S. 41 (sermo 4, c. 18: Quod autem illi carnales Iudaei glorificabant Dominum, ideo faciebant quia eis Dominus terrena bona promittebat); Isaak von Stella, Predigten II, lateinisch/deutsch. Eingel. von Wolfgang Gottfried Buchmüller. Freiburg i. Br. 2014 (Fontes Christiani; 52/2), S. 482 (sermo 26,16: Iudaei namque in observantiis mandatorum et praemiis observationum sola semper temporalia ac terrena attendentes, dum carnalibus solum inhiant, omnem spiritualis intelligentiae fructum in lege suffocant). Mit der Zeit wird auf diese Weise carnalis zur Chiffre für eine angeblich materiell dominierte Werteordnung, das Judentum wird als eine Religion des Materiellen denunziert.Eine ähnliche Kodierung finden wir erneut in Karl Marx’ Kritik der bürgerlichen Gesellschaft; vgl. Karl Marx, Zur Judenfrage. Hg. und eingel. von Stefan Grossmann. Berlin 1919, S. 42 (»Welches ist der wirkliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welche ist sein weltlicher Gott? Das Geld.«), S. 45 (»Das Geld ist der eifrige Gott Israels, vor welchem kein anderer Gott bestehen darf. Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen – und verwandelt sie in eine Ware«).3Rentenkauf und »Judenwucher«Seit dem 12. Jahrhundert hatten sich christliche Theologen zunehmend mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Menschen sich moralisch korrekt in der zunehmend komplexer scheinenden Welt des Wirtschaftslebens verhalten sollten. Bekanntlich radikalisierte die römische Kirche in dieser Zeit das Verbot des Geldverleihs gegen Zins; zugleich hatten die Beichtväter immer wieder Zweifelsfälle vor sich, für die in einer wachsenden Literatur von Bußbüchern und Beichtspiegeln Lösungen gesucht wurden.Vgl. Hans-Jörg Gilomen: Wucher und Wirtschaft im Mittelalter. In: Historische Zeitschrift 250 (1990), S. 265–301; Gerhard Rösch: Wucher in Deutschland 1200–1350. Überlegungen zur Normdidaxe und Normrezeption. In: Historische Zeitschrift 259 (1994), S. 593–636; Christoph Cluse: Zum Zusammenhang von Wuchervorwurf und Judenvertreibung im 13. Jahrhundert. In: Judenvertreibungen in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. von Friedhelm Burgard, Alfred Haverkamp und Gerd Mentgen. Hannover 1999 (Forschungen zur Geschichte der Juden; A9), S. 135–164; Odd Langholm: The Merchant in the Confessional: Trade and Price in the Pre-Reformation Penitential Handbooks. Leiden 2003 (Studies in Medieval and Reformation Thought; 93). Auch dafür wurde mit der Figur des »Juden« bzw. des »Jüdischen«, die, wie wir sahen, von jeher mit der Vorstellung einer besonderen Verhaftung im bloß Materiellen (»Fleischlichen«) assoziiert war, eine Kategorie genutzt, die dabei half, die Komplexität der Fragen zu reduzieren und die ökonomische Welt nach Gut und Böse zu ordnen. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diese Hypothese anhand des Streits um den so genannten Rentenkauf zu überprüfen.Der Rentenkauf war überall in Mitteleuropa bis zum 14. Jahrhundert zu einem wichtigen Kreditinstrument geworden. Ohne auf die Einzelheiten eingehen zu könnenMaßgeblich Hans-Jörg Gilomen: Der Rentenkauf im Mittelalter. Habil.-Schrift Universität Basel, 1984, online unter <https://www.hist.uzh.ch/dam/jcr:ffffffff-e319-f1e9-ffff-ffff92c8b4ad/Rentenkauf.pdf> (zuletzt aufgerufen am 04.04.2022)., sei diese Kreditform hier kurz und sozusagen idealtypisch skizziert: Eine Person oder Institution (A) verkauft dabei an eine andere (B) für einen Kaufpreis (C) das Recht auf den Bezug einer in Zukunft (meist jährlich) zu leistenden Abgabe (D), die als Zins (census) beziehungsweise Rente (redditus) bezeichnet wird. Dies kann auf Dauer (als Ewigrente) oder für die Lebenszeit des Rentenkäufers (als Leibrente) vereinbart werden. Im Unterschied zu einem Darlehen, das vom Gläubiger nach Ablauf der Frist zurückgefordert werden konnte (gegebenenfalls mit gerichtlichen Mitteln), konnte das Rentenverhältnis, wenn überhaupt, nur durch den Verkäufer durch (angekündigte, nur zu bestimmten Terminen erlaubte) Rückzahlung der ursprünglichen Kaufsumme beendet werden. Es war diese Ablösbarkeit, die lange umstritten war, die aus dem Rentenkauf erst ein so gängiges Kreditinstrument machte.Es ist unschwer zu erkennen, dass dieser Kaufvertrag auch als verzinslicher Kredit gelesen werden kann: Der Verkäufer der Rente ist dabei der Kreditnehmer, der Rentenkäufer ist Kreditgeber und wird zum Gläubiger; der Kaufpreis steht für die Kreditsumme, die Rentenhöhe entspricht den jährlichen Zinsen. Vergleicht man diese Kreditform mit den zeitgenössischen Krediten bei jüdischen oder lombardischen Geldverleiherinnen oder -verleihern, fallen jedoch Unterschiede ins Auge: In der jeweiligen Ausgestaltung standen den langfristigen Rentenkrediten meist kurzfristige Kredite bei Juden und Lombarden gegenüber; der hypothekarischen Sicherung mit Immobilien die Faustpfänder; den eher hohen die eher mittleren bis niedrigen Leihsummen; den mäßigen Zinssätzen von 5 bis 10 Prozent p. a. die hohen Zinsen von zwei Pfennigen pro Pfund und Woche. Angesichts der offensichtlich günstigeren Kreditkonditionen bei Renten stellt sich die Frage, warum man überhaupt zu jüdischen Geldverleihern ging.Zum Nebeneinander der beiden Kreditformen auf demselben Markt gibt es noch nicht viele Studien. Wichtige Fallbeispiele erörtern Markus J. Wenninger: Geldkreditgeschäfte im mittelalterlichen Erfurt. In: Erfurt – Geschichte und Gegenwart. Hg. von Ulman Weiss. Weimar 1995 (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt; 2), S. 439–458, und Gabriela Signori: Schuldenwirtschaft. Konsumenten- und Hypothekarkredite im spätmittelalterlichen Basel. Konstanz 2015 (Spätmittelalterstudien; 5). Hier ist ein funktionales Ineinandergreifen anzunehmen, das heißt, dass jüdische Kredite nicht selten zur Zwischenfinanzierung genutzt wurden, wenn der Zinstermin nahte und der Rentenschuldner gerade nicht flüssig war. Aus dem erhöhten Ausfallrisiko ergab sich der notwendigerweise höhere Zinssatz bei den jüdischen Darlehen.David Schnur: Die Juden in Frankfurt am Main und in der Wetterau im Mittelalter. Christlich-jüdische Beziehungen, Gemeinden, Recht und Wirtschaft von den Anfängen bis um 1400. Wiesbaden 2017 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen; 30), S. 561, spricht in diesem Zusammenhang von der »Rückversicherungsfunktion« jüdischer Kredite. Vgl. auch ebd., S. 100, 334 f. sowie zum vergleichsweise hohen Ausfallrisiko ebd., S. 349 (»knapp 30 Prozent« der abgeschlossenen Kreditverträge landeten vor Gericht).Sofern man den Rentenkauf als verzinslichen Kredit las, lief er natürlich dem kirchlichen Zinsverbot zuwider. Schon im späten 13. Jahrhundert formulierte der Pariser Gelehrte Heinrich von Gent (gest. 1293) die wesentlichen Einwände gegen die Erlaubtheit des Rentenkaufs in mehreren öffentlichen Disputationen.Zu den gattungsspezifischen Besonderheiten in Heinrichs Quodlibet-Diskussionen vgl. Giovanni Ceccarelli: »Whatever« Economics. Economic Thought in Quodlibeta. In: Theological Quodlibeta in the Middle Ages, vol. 1: The Thirteenth Century. Ed. by Christopher Schabel. Leiden 2006 (Brill’s Companions to the Christian Tradition; 1), S. 475–505. Seine Kritik lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass es keine hinreichende Abgrenzung des Rentenkaufs vom Darlehensgeschäft gebe.Fabiano Veraja: Le origini della controversia teologica sul contratto di censo nel XIII secolo. Roma 1960 (Storia ed economia; 7); Odd Langholm: Economics in the Medieval Schools. Wealth, Exchange, Value, Money and Usury according to the Paris Theological Tradition 1200–1350. Leiden, New York and Köln 1992 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters; 29), S. 249–275; vgl. Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 9 mit Anm. 17. Trotz der Tatsache, dass Heinrichs Schlussfolgerungen von maßgeblichen Zeitgenossen abgelehnt wurden,Veraja, Le origini (wie Anm. 36), unterscheidet mehrere Phasen der Auseinandersetzung. In der dritten Phase verortet er die ausführliche Darlegung Gottfrieds von Fontaines und die Schrift des Ägidius Romanus OESA. Zur Chronologie vgl. ebd., S. 178, zum Stand der Diskussion Anfang des 14. Jhs. S. 168–177, außerdem Langholm, Economics (wie Anm. 36), S. 276–298, bes. S. 293 f. kam die Debatte um die Erlaubtheit des Rentenkaufs im Spätmittelalter lange nicht zur Ruhe. Die Entscheidung Papst Martins V. in der Bulle Regimini universalis von 1425, die den Rentenkauf mit Rückkaufklausel für wucherrechtlich unproblematisch erklärte, sorgte für eine gewisse Beruhigung;Winfried Trusen: Spätmittelalterliche Jurisprudenz und Wirtschaftsethik. Dargestellt an Wiener Gutachten des 14. Jahrhunderts. Wiesbaden 1961 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 43), S. 212–214. im weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts polemisierten Angehörige der Bettelorden, insbesondere Franziskanerobservanten, aber weiterhin gegen den Rentenkauf.Offenbar hatte die Praxis in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nochmals erheblich zugenommen. Dies ist jedenfalls die geschilderte Ausgangssituation einer wenig bekannten Schrift De contractibus reddituum, die dem Zisterzienser-Magister Konrad von Ebrach (gest. 1399)Die Zuschreibung ist nicht gesichert; vgl. Kassian Lauterer: Konrad von Ebrach S. O. Cist. († 1399). Lebenslauf und Schrifttum. In: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis 17 (1961), S. 151–214; 18 (1962), S. 60–120; 19 (1963), S. 3–50, hier Teil 3, S. 22–26. Beiläufig erwähnt wird die Schrift von Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 3, Anm. 11, und S. 21, Anm. 68, bei Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 9, sowie zuletzt in Matthias Nuding: Geschäft und Moral. Schriften ›de contractibus‹ an mitteleuropäischen Universitäten im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert. In: Schriften im Umkreis mitteleuropäischer Universitäten um 1400. Lateinische und volkssprachige Texte aus Prag, Wien und Heidelberg: Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Wechselbeziehungen. Hg. von Fritz Peter Knapp, Jürgen Miethke und Manuela Niesner. Leiden 2004 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; 20), S. 40–62, hier S. 43 f. Insgesamt wird dem Traktat in der bisherigen Forschung nur geringe Bedeutung beigemessen. zugeschriebenen wird.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum, ediert in Christoph Cluse: Rentenkauf und »Judenwucher«. Ein Prager Rentenkauf-Traktat von ca. 1375–78, dem Zisterzienser Konrad von Ebrach (gest. 1399) zugeschrieben. In: Historia Judaica. Miszellen zur jüdischen Geschichte (Mittelalter und Frühe Neuzeit), 20.10.2021, zuletzt aktualisiert am 22.03.2022, online unter <https://judaica.hypotheses.org/504>. Die Edition kann dort als PDF heruntergeladen werden. S. 1: uti communiter inolevit … in pluribus locis ut audivi; S. 24: eo modo quo communius inolevit. Der Text geht auf eine öffentliche Disputation zurück, die an der Prager Universität zwischen 1375 und 1378 stattfand.Das Datum ergibt sich aus der Erwähnung Papst Gregors XI. (1371–1378): Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 16. Der Verfasser sagt, seine Argumente dienten nur der akademischen Auseinandersetzung in einem Verfahren, bei dem er die Vertretung des ablehnenden Standpunkts übernommen habe.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 1: Cum scriptura Iob iv. sic dicat: »conceptum sermonem quis tenere poterit« (Iob 4,2), uti promisso promisi alias, gratia scolastice collationis et inveniende veritatis rationes secundi principales in medium ducam, negativam dicte questionis persuadentes, quatinus subtiliores inde moti caritate dignentur earum solutiones michi et michi similibus impartiri, et ego oppositas rationes vel auctoritates cum correctione sancte matris ecclesie sapientiumque reverendissimi in Christo patris ac domini mei Iohannis Pragensis ecclesie archiepiscopi ac universitatis nostre Pragensis cancellarii temptabo dissolvere iuxta posse, non intendens aliquid pertinaciter asserere vel defendere, ymmo paratus omnino cunctis, que prefati in hiis diffinierunt, assentire. Seine Rhetorik lässt aber die Vermutung zu, dass es ihm um mehr zu tun war als um eine akademische Pflichtübung. Kurz zusammengefasst, läuft seine Argumentation auf sechs Punkte hinaus: Erstens widerspreche die Praxis des Rentenkaufs den biblischen Geboten der Nächstenliebe und damit zugleich dem Naturrecht.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 3–6 (cap. 1–2), vgl. auch S. 20–22 (cap. 13–14). Zweitens unterscheide sich der Rentenkaufvertrag nur dem Namen nach von einem Darlehensvertrag (dem mutuum).Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 6–13 (cap. 3–4). Drittens handle es sich um keinen echten Kauf, weil weder die Ware noch der Preis genau bestimmt werden könnten;Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 13–17 (cap. 6–8). fünftens sei es auch unlogisch, vom Kauf eines Rechts zu sprechen; denn dass (10) der gerechte Preis für das Recht auf (10 + 1) sein solle, widerspreche der Vernunft.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 17 f. (cap. 9), vgl. auch S. 21–23 (cap. 14–19). Sechstens werde nicht nur beim Darlehensgeschäft, sondern auch beim Rentengeschäft mit der Zeit gerechnet, die hier zu einem Werkzeug der zunehmenden Verknechtung werde, obwohl sie doch schon im Alten Testament zur Befreiung aus der Knechtschaft im Sabbatjahr vorgesehen sei.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 18–20 (cap. 10–12), vgl. auch S. 23 f. (cap. 20).Für den vorliegenden Zusammenhang ist vor allem Konrads zweites Argument von Belang:Wenn ceteris paribus der ganze Vertrag zwischen A und B mit ganz denselben Absichten auf beiden Seiten und nur mit der Änderung vorgenommen würde, dass der Käufer sagt und schriftlich festhält »ich leihe Dir [= A] zehn für eins« und so weiter, und A unter derselben Bedingung den Vertrag akzeptierte – dann würden doch alle ihn als Wuchervertrag werten, den die Heiligen und das Kirchenrecht verdammen.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 6: Tertio principaliter, si ceteris paribus totus contractus inter A et B fieret omnino sub eisdem intentionibus eorundem sicut modo, illo solum dempto pacto quod B diceret et in littera scribi faceret »mutuo tibi« – scilicet A – »decem pro uno« etc., et A sub eodem pacto acceptaret, tunc ab omnibus iudicaretur contractus usurarius, quem sancti dampnant et decreta.Er fährt fort: »Solche Bezeichnungen sind Wörter, die ganz nach dem Willen der Vertragsparteien gewählt werden, und eine Äußerlichkeit der genannten Verträge.«Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 8: quia tales denominationes sunt omnino ad placitum instituentium vocabula et omnino contractibus dictis extrinsice. In einem Bild zusammengefasst: »Du kannst einen Hund waschen und kämmen, aber er wird doch einer bleiben. So wird auch jener Kontrakt derselbe bleiben und gleich unerlaubt, ganz gleich wie er genannt werden mag.«Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 6: Ablue igitur et pecte canem, canis est et permanet idem. Sic et ille contractus idem permanet et eque illicitus, qualitercumque nominetur.An dieser Stelle kommen auch die Juden ins Spiel: Müssten die Christen, und besonders die Prälaten und Gelehrten unter ihnen, den Juden nicht sagen, dass sie ihre Wucherverträge nur als Kaufverträge bezeichnen bräuchten, um sie so zu erlaubten Verträgen zu machen? Dies würde doch auch jenen Christen etwas nützen, die ihnen Häuser vermieten, denn sie würden sich dann nicht mehr solchen (spirituellen) Gefahren aussetzen wie sie es jetzt tun.Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 7: Cum igitur precepit Apostolus, ymmo dominus per Apostolum, quod »honeste ambulemus ad eos qui foris sunt«, I. Thess. iv. (1 Th 4,12), numquid igitur non essent reprehensibiles christiani et maxime prelati et litterati, quod non docerent iudeos istos ut suos contractus usurarios cum christianis etiam »emere et vendere« nominarent, sic quod tales contractus ipsorum licitos redderent et christiani locantes eis domos non tot se supponerent periculis uti modo? Hier verweist der Text auf die zeitgenössische Diskussion um den Kanon 26 Usurarum voraginem des zweiten Konzils von Lyon, der die Vermietung von Häusern oder Geschäftsräumen an »landfremde Wucherer« mit Exkommunikation bedrohte. Unter den »landfremden Wucherern« verstand man damals offenkundig die sogenannten Lombarden; doch wie Rowan Dorin gezeigt hat, tendierten die Kanonisten im 14. Jahrhundert zunehmend dahin, auch die Vermietung an Juden sei darunter zu fassen. Siehe Rowan W. Dorin: Canon Law and the Problem of Expulsion. The Origins and Interpretation of Usurarum voraginem (VI 5.5.1). In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 99 (2013), S. 129–161; Ders.: »Once the Jews have been Expelled«: Intent and Interpretation in Late Medieval Canon Law. In: Law and History Review 34:2 (2016), S. 1–28. Vgl. auch Christoph Cluse: Darf ein Bischof Juden zulassen? Die Gutachten des Siffridus Piscator OP (gest. 1473) zur Auseinandersetzung um die Vertreibung der Juden aus Mainz. Trier 2013 (Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Studien und Texte; 7), S. 57. In der Praxis der geistlichen Gerichte dieser Zeit gibt es tatsächlich auch einige Fälle; vgl. zukünftig Christoph Cluse: Jews, Ecclesiastical Courts, and Bishops in Later Medieval Germany. In: Bishops and Jews in the Medieval Latin West. Ed. by Christoph Cluse, Alfred Haverkamp (†) and Jörg R. Müller. Wiesbaden 2022 (Forschungen zur Geschichte der Juden; A29).Die Willkürlichkeit der Bezeichnungen zeige sich, so Konrad, auch darin, dass an Orten, wo es »dem Namen nach christliche« Geldverleiher gebe, diese sich als »Geld- bzw. Münzkaufleute« (mercatores de pecuniis) bezeichneten. Er habe sogar gehört, in Wien gebe es einen Juden, der bei jeder Kreditvergabe sage und schreibe, er »kaufe« so und so viel pro Woche von dem Kunden, der ihm dafür ein Pfand versetze oder eine andere Sicherheit leiste. Ob man denn solche Leute bezüglich ihrer Verträge von Schuld freisprechen könne?Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 9: Audivi etiam quod in partibus ubi sunt usurarii sive feneratores christiani de nomine, illi inquam se nominant »mercatores de pecuniis«. Item in Wienna dicitur esse unus iudeus qui in omni expositione pecunie dicit et scribit quod emat super illo in septimana tantum vel tantum, qui tradidit sibi pignus vel alio modo facit sibi cautionem. Quero igitur, an tales in suis contractibus excusentur? Dass der eine, ein Christ, erlaubterweise eine zehnprozentige Rente kaufen könne, der andere, ob Christ oder Jude, aber nicht zu zehn Prozent leihen dürfe – das möge verstehen wer will! (Qui possit hoc capere capiet!)Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 9: Item quod christianus aliquis dicto modo licite possit emere unum pro decem, et omnino sit illicitum quod alter sive iudeus sive christianus mutuet eidem vel alteri ceteris paribus mille pro uno etc. – qui possit hoc capere capiet! Am Ende rufe noch der Jude (mit den Worten des Hiob) aus:»Ich schreie: Gewalt!« (Hiob 19,7) »Ihr quält mich, tretet mich mit Worten nieder und schmäht mich« (Hiob 19,2 f.), nämlich indem ihr mich einen Wucherer nennt, »und schämt euch nicht mich zu beleidigen« (Hiob 19,3). Hört doch auf euren Meister, der sagt: »worin du den anderen richtest, darin verurteilst du dich selbst« (Röm 2,1). Wenn ich aus meinem Vaterland in diese Knechtschaft geführt worden bin, sodass ich ein auskömmliches Leben nur noch mit dem Verleih von Geld auf Profit erwerben kann, dann nennst du mich einen verächtlichen Wucherer? Du aber, der du so viele der Deinen, nämlich der Christen, beraubst, wagst es, dich in aller Ruhe als »Herr« bezeichnen zu lassen? Wie einst der Pirat zu Alexander gesagt haben soll: »Weil ich mit einem kleinen Boot das Meer heimsuche, werde ich Dieb und Räuber genannt; du aber, der du mit einer großen Flotte die ganze Welt ausplünderst, nennst dich Imperator!« (vgl. Augustinus, De Civitate Dei, Buch 4, c. 4). Möge also der Christ zuerst »den Balken aus seinem Auge« herausziehen [Mt 7,4; Lk 6,42]!Conradus de Ebrach (?), De contractibus reddituum (wie Anm. 40), S. 11: Dicit tandem iudeus christianis: »ecce clamabo vim patiens« (Iob 19,7), affligitis, atteritis et confuditis me sermonibus« (Job 19,2–3), vocando me usurarium, »et non erubescitis opprimentes me«, Iob xix. (Iob 19,3). Attendite magistrum vestrum dicentem: »in quo alium iudicas te ipsum condempnas«, ad Rom. ii. (Rm 2,1). Dum namque ego tante servituti extra regnum meum paternum sim adductus, quod non valeo aliter conquirere commode vite necessaria nisi pro lucro mutuando pecunias, me dicis usurarium despectabilem? Tu vero, qui in tot etiam tuos christianos dicto modo predaris, audis te dominum nominari placabliter? Sicut olim piratam dixisse fertur Allexandro: »Quia ego parva navi mari infesto, latro dicor et raptor; tu vero qui magna classe totum mundum spolias, diceris imperator«, IV. de Civitate Dei. Quare christianus eiciat primum »trabem de oculo«, Math. VII. (Mt 7,4), et Luc. VI. (Lc 6,42).Der Rentenkauf brachte – nicht anders als der Geldverleih der Juden – oft Verschuldungsprobleme mit sich.Auch »Konrad« unterstreicht diese Problematik, indem er den Verkäufer der Rente durchweg als indigens charakterisiert. Schon in der Problemstellung formuliert er, dass die Gemeinden oder Personen coartate per indigentiam handelten, wenn sie den »Leuten mit Geld« (pecuniosis) Renten verkauften (Conradus de Ebrach [?], De contractibus reddituum [wie Anm. 40], S. 1). Sein fünftes Hauptargument (ebd., S. 9–13) ist ganz diesem Problem gewidmet, vgl. S. 9: sicque tanta fiat ultimate rerum caristia, quod multi homines fame moriantur, presertim quia tempore famis omnes terre deseruntur per incolas et multa mala cumulantur, uti constat. Tunc arguo sic: tam B exhaurit A in necessariis quam F iudeus in casu dicto, igitur tam illicitus est contractus inter B et A sicut inter F iudeum et idem A. Offenbar führte die Belastung städtischer Immobilien dazu, dass viele Häuser von ihren Besitzern nicht mehr in Stand gehalten werden konnten und verfielen.Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 80 f., 111, 117, 157 f., 162 f. Die städtische Steuerbasis erodierte, während auf der anderen Seite die Stadträte ja selbst längst der Versuchung erlegen waren, ihre Budgetdefizite durch den Verkauf von Leibrenten auszugleichen; nicht wenige Städte gingen gerade in der hier interessierenden Zeit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bankrott.Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 171–173, Anm. 406. Vgl. auch David Schnur: Uff daz dieselbe stat user den schulden desterbus kamen möge. Zur Wiederansiedlung von Juden in der Reichsstadt Wetzlar in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In: Juden in der mittelalterlichen Stadt: Der städtische Raum im Mittelalter – Ort des Zusammenlebens und des Konflikts. Hg. von Eva Doležalová. Prag 2015 (Colloquia mediaevalia Pragensia; 7), S. 79–102. Die internationale Dimension des Problems verdeutlicht Jeffrey Fynn-Paul: Civic Debt, Civic Taxes, and Urban Unrest. A Catalan Key to Interpreting the Late Fourteenth-Century European Crisis. In: Money, Markets and Trade in Late Medieval Europe. Essays in Honour of John H. A. Munro. Ed. by Martin Elbl, Ivana Elbl and Lawrin D. Armstrong. Leiden and Boston 2007 (Later Medieval Europe; 1), S. 119–145.Landesherren und städtische Magistrate reagierten auf diese Situation mit sogenannten Ablösungsgesetzen, auf deren Geschichte, Erfolg und Misserfolg hier wiederum nicht näher einzugehen ist.Ausführlich Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 105–173. Die herrschaftlichen Eingriffe bestanden vor allem darin, bestimmte für die Zinsschuldner günstige Ablösungsmodalitäten vorzuschreiben, und etwa auch für bereits laufende Verträge den Preis für den Rückkauf der Rente zu senken. Es ging also um erhebliche Markteingriffe.Das Verhältnis von Kaufpreis und Rente war im Wesentlichen von den Marktkräften bestimmt; im langfristigen Trend stiegen dabei die Preise, das heißt, die Sätze der zu zahlenden Renten sanken; vgl. Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 96 f.; Wenninger, Geldkreditgeschäfte (wie Anm. 33), S. 457 f. Damit riefen die Gesetzgeber den teils erbitterten Widerstand der Geistlichkeit hervor. Denn auf dem Rentenmarkt waren die geistlichen Institutionen und Pfarreien die wichtigsten Akteure auf Käuferseite.Über die von Gilomen versammelten Beispiele hinaus sei hier das von 1347 bis 1406 geführte Trierer Zins- und Hypothekenregister genannt (Hs. Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek, S 1571). Die 2.299 Einträge des Registers beziehen sich ganz überwiegend auf Rentenkäufe. Unter den Käufern treten Pfarrer, Stifts- und Domkanoniker und geistliche Institutionen hervor. Nach Angaben von Marzena Kessler (Trier) lauten drei Viertel aller Einträge auf Zinsen zu Gunsten geistlicher Personen oder Institutionen. Vgl. zukünftig die Einleitung zur Edition des Registers. Zu einer vorläufigen Charakterisierung vgl. Christoph Cluse: Aus dem wiederentdeckten Trierer Zinsregister von 1347–1406 (Hs. Bonn, ULB, S1571). In: Aschkenas 26 (2016), S. 67–88. Sie empfingen nicht nur viele Stiftungen in Form von Renten, sondern investierten auch einmalige Zuwendungen systematisch auf dem Rentenmarkt. Ihnen musste also unbedingt an dem Nachweis gelegen sein, dass der Rentenkauf – jedenfalls ihr Rentenkauf – wucherrechtlich unproblematisch war.Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 174–179; vgl. auch im Folgenden.Vor diesem Hintergrund sind die mindestens vier Gutachten über den Rentenkauf zu lesen, die von Wiener Gelehrten zwischen 1392 und 1394 vorgelegt wurden. Sie reagierten auf Fragen und Probleme, die offenbar durch die Ablösungsgesetze des österreichischen Herzogs Rudolf IV. (gest. 1365) entstanden waren.Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 18–20 und passim; Georg Kreuzer: Heinrich von Langenstein. Studien zur Biographie und zu den Schismatraktaten unter besonderer Berücksichtigung der Epistola pacis und der Epistola concilii pacis. Paderborn 1987 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte; 6), S. 96–101; Erich Sommerfeld: Ökonomisches Denken in Deutschland vor der frühbürgerlichen Revolution. Der »Tractatus de contractibus« des Heinrich von Langenstein. Diss. oec., Deutsche Akademie der Wissenschaften, Berlin 1969. Zwei wichtige Beiträge zu dieser Debatte stammen von Magister Heinrich Hainbuche von Langenstein genannt von Hessen, ein weiterer von seinem Freund und Kollegen Heinrich Totting von Oyta.4»Juden« bei Heinrich von LangensteinLangenstein war zweifellos die bedeutendste Figur in der Gründungszeit der Wiener Universität. Nach Studien und erster Lehrtätigkeit in Paris hatte er 1382 wegen des Schismas die Sorbonne verlassen und war 1384 vom Herzog an die neue Universität berufen worden, 1388/89 amtierte er als Dekan der theologischen Fakultät, 1393/94 als Rektor der Universität. Er starb 1397 in Wien.Thomas Hohmann und Georg Kreuzer: Art. »Heinrich von Langenstein«. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hg. von Kurt Ruh. Bd. 3, Berlin und New York 1981, Sp. 763–773; Kreuzer, Langenstein (wie Anm. 62); Fritz Peter Knapp: Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439. Graz 1999 (Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart; 2), 2. Halbband, S. 107 f. Heinrichs umfangreiches theologisches Werk nimmt aus theologischer und pastoraler Perspektive auch zu zahlreichen gesellschaftlichen Fragen Stellung. Einheit und Reform der lateinischen Kirche – wir befinden uns in der Zeit des Großen Schismas – waren ihm ein wichtiges Anliegen.Knapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 109. Er zeigt ein gewisses Interesse für das HebräischeKnapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 110. und für die Juden seiner Zeit. Als Wiener Hauptwerk Langensteins gilt sein noch ungedruckter Kommentar zum Buch Genesis, der zwar nur bis zum Kapitel 3 des biblischen Buches reicht, aber schon in dieser fragmentarischen Form vermutlich heute 5.000 Druckseiten füllen würde.Knapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 112–118. Wie Fritz Peter Knapp am Beispiel des Arbeitsbegriffes im Genesiskommentar gezeigt hat,Fritz Peter Knapp: »In Frieden höre ein Bruder den anderen an«. Geistige Auseinandersetzungen der Christen mit jüdischem Gedankengut im mittelalterlichen Herzogtum Österreich. Trier 2012 (Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Studien und Texte; 6), S. 38–50. Vgl. auch Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 44 f., welcher sich auf den im Folgenden zu besprechenden Rentenkauf-Traktat bezieht. sind die dort vertretenen Grundpositionen auch für das Verständnis von Langensteins Traktat über die Rentenverträge von grundlegender Bedeutung. Nicht zufällig steht dieser unter dem Leitwort: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen« (vgl. Gen 3,19).Henricus de Hassia dictus de Langenstein, Tractatus bipartitus de contractibus. In: Johannis Gerson Opera Omnia, Köln 1484 (GW 10713), tomus 4, fol. 185r–224r, hier fol. 185r (Teil I, Capitulum primum de iugo laboris originali). Eine kritische Ausgabe dieser in zahlreichen Handschriften erhaltenen Schrift über den Rentenkauf fehlt. Eine Transkription des Kölner Druckes habe ich 2017 in der »Bibliotheca Augustana« veröffentlicht; vgl. <https://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost14/HenricusHassia/hen_tpro.html>.Fritz Peter Knapp war es auch, der erstmals auf die in mehreren Handschriften jeweils unvollständig erhaltenen Sermones ad judaeos convertendos aus Heinrichs Feder hingewiesen hat. Diese Texte sind im deutschsprachigen Raum die frühesten erhaltenen Predigten, die sich ausdrücklich der Bekehrung der Juden zum christlichen Glauben widmen.Fritz Peter Knapp: Heinrich von Langenstein, Sermones Wiennenses ad Iudaeos convertendos. Die ältesten aus dem deutschen Sprachraum erhaltenen Judenbekehrungspredigten: Präsentation und Interpretation eines Neufunds. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 109 (2001), S. 105–117. Ob die Predigten je gehalten wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Ihr Herausgeber charakterisiert sie als ein seltenes Gesprächsangebot, das freilich von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen sei; denn trotz der vorgebrachten Absicht, in einen vorurteilsfreien Dialog einzutreten, enthalten sie über weite Strecken doch wieder die üblichen Stereotype und eben – Vorurteile.Fritz Peter Knapp: Gestörte oder verhinderte Religionsgespräche. Das Judentum der mittelalterlichen Diaspora aus der Sicht Peter Abaelards und Heinrichs von Langenstein. In: Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter. Hg. von Alois Hahn. Berlin und Münster 2006 (Geschichte – Forschung und Wissenschaft; 24), S. 55–72. Gleichwohl sei die Ansprache an die jüdischen »Brüder« in der zweiten Bekehrungspredigt bemerkenswert:… Hört uns mit offenem Ohr, und umgekehrt werden wir euch hören. Kein Zorn oder Groll möge uns entzweien, sondern die Liebe der in den heiligen Vätern begründeten Brüderlichkeit uns verbinden. Nicht möge das eine Volk das andere vor den Kopf stoßen, sondern in Frieden höre ein Bruder den andern an und der Sohn den Vater, in Freundschaft sollen sie mit einander reden und sehen, was der Grund des Zwistes ist, und mögen imstande sein, diesen zu beseitigen und einträchtig dem einen Gott in einem Glauben und einem Ritus friedlich zu dienen.Knapp, »In Frieden« (wie Anm. 67), S. 28; lateinischer Text bei Knapp, Sermones (wie Anm. 69), S. 112: … aure attenta audite nos, viceuersa audiemus vos. Non separet nos ira et rancor, sed fraternitatis in sanctis patribus amor coniungat, non proteruiet populus contra populum, sed audiat pacifice frater fratrem et filius patrem, amicabiliter conferant, videant, que sit causa discordie, vt illa remota concordes facti vni deo vna fide, vno ritu valeant placenter obedire.In der ersten Predigt heißt es:Ich habe Mitleid mit euch, o hebräische Söhne der Zerstreuung, die ihr, aus dem Fleische der heiligen Väter Abraham, Isaak und Jakob erzeugt, noch nicht zur himmlischen Segnung, welche Euch einst im Messias verheißen wurde, gelangt seid, daher freilich deren Söhne – dem Fleische, nicht (aber) dem Geiste nach. Dem Geiste nach sind mit größerem Recht ihre Söhne: alle aus den Heidenvölkern zur Erkenntis des einen wahren Gottes Versammelten, welche der von Gott den Vätern vor vielen Jahrhunderten gegebenen göttlichen Verheißung teilhaftig wurden. Und dadurch haben einige mit euch ein Band der Verbrüderung oder Verwandtschaft geknüpft. Kraft (dieses Bandes) bin ich als einer von denjenigen, welche den Glauben an den wahren Gott von den Juden erlangt haben, gewiss in gleicher Weise auch vom Eifer für euer Heil ergriffen und erleide euretwegen Schmerz, o Brüder aus dem Samen der Väter, die ihr im Elend zurückgelassen seid.Übersetzung nach Knapp, Religionsgespräche (wie Anm. 70), S. 63; lat. Text ebd., Anm. 14: Misereor super vos, o Hebrei filij dispersiones de carne sanctorum patrum Abraham, Ysaac et Jacob progeniti nondum benediccionem celestem patribus olim in christo promissam consecuti, ob hoc filij quidem eorum secundum carnem non spiritu, quo verius filij eorum sunt omnes ad agnicionem unius veri dei de gentibus collecti, qui divine promissionis patribus longe in ante seculis, a deo facte participes effecti sunt. ac per hoc ad vos nonnulli confraternitatis seu affinitatis vinculum contraxerunt. Quo quidem ego qualiscumque unus de illis, qui fidem veri dei ex Iudeis consecuti sunt, pariter et zelo vestre salutis commotus doleo super vos, o fratres, de semine patrum in miserijs relicti.Die Abstammung von den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob, einerseits aus dem Fleisch oder dem Samen, andererseits (und in einem höheren Sinne wahrhaftig) im Geiste, begründet also eine Art Brüderlichkeit zwischen Juden und Christen, die als Grundlage des Gesprächs dienen soll (jedenfalls sollen die Juden ihm, Langenstein, zuhören).Die Kategorie der Abstammung, dem Fleische (de semine) oder dem Geiste nach, greift der Verfasser auch in seinem zweiteiligen Rentenkauf-Traktat auf, freilich im Rahmen einer Polemik, deren Heftigkeit verstört. Gegen Ende des ersten Hauptteils spricht Langenstein die fortdauernde Existenz der Juden unter den Christen an, deren Ursache er vor allem in der Habgier der weltlichen Herrschaftsträger verortet – den Geldhandel (»Wucher«) der Juden duldeten sie aus eigennützigen Motiven (ein nicht gerade neues Argument).Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 196v–198v (Teil 1, c. 25–30), hier bes. fol. 197v (c. 28 Quibus rationibus christiani iudeos sibi cohabitare permiserunt); dazu Sommerfeld, Ökonomisches Denken (wie Anm. 62), S. 167; Cluse, Wuchervorwurf (wie Anm. 31); Cluse, Darf ein Bischof (wie Anm. 51). Mag sein, argumentiert er, dass den Juden im Gesetz (d. h. in der Tora) der Verleih gegen Zinsen an Heiden erlaubt war (vgl. Dt 23,20 f.); heute begingen sie eine Sünde, wenn sie Zinsen von den Christen verlangen, denn diese seien die wahren Juden »dem Geiste nach, wenngleich nicht nach dem Fleische«.Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 196v (Teil 1, c. 25): Magis ergo peccant iudei nunc ubicumque gentilibus ad usuram concedunt quam olim. Maxime autem et gravissime peccant mutuando ad usuram illis, qui Christum receperunt, scilicet christianis, qui vere iudei sunt secundum spiritum, licet non secundum litteram. Vgl. ebd., fol. 195v (c. 23). Die Hintergründe dieses Verhältnisses entwickelt Langenstein dann folgendermaßen:Zur Zeit der Verkündigung des Evangeliums, als das Licht der himmlischen Lehre kräftig in der Welt leuchtete, haben viele aus beiden Völkern, also sowohl Heiden als auch Israeliten, die Gnade Gottes dankbar angenommen und der Wahrheit geglaubt. Sie haben sich vertrauensvoll in der katholischen Einheit des umfassenden Glaubens, jenseits dessen es kein Heil mehr gibt, versammelt. Dabei haben sie aus beiden Völkern, also sowohl dem heidnischen als auch dem jüdischen, viele hinter sich gelassen, die nicht glauben wollten und der göttlichen Gnade gegenüber undankbar blieben, die man zu Recht mit der Spreu oder dem Kot (fecibus) oder mit jedweden anderen unnützen und überflüssigen Resten vergleichen kann.Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 196v (Teil 1, c. 26): Hic pro origine huius rei hoc advertendum est, quod tempore predicationis evangelii, lumine celestis doctrine per mundum perseveranter coruscante, multi utriusque populi, gentiles videlicet et israelitici, gratiam Dei exultanter amplectentes et veritati credentes in unitatem catholice, id est universalis fidei, extra quam non est amplius salus, fideliter concurrerunt, relictis de utroque populo, scilicet gentili et iudaico, plurimis incredulis gratie Dei ingratis, comparandis recte paleis aut fecibus aut aliis quibuslibet reliquiis inutilibus et superfluis.Das Bild von Spreu und Weizen ist recht geläufig, das von den feces nicht.Die noch nicht zum Christentum bekehrten »Überreste« des jüdischen Volkes bezeichnet auch Thomas von Aquin in Anlehnung an Jes. 49,6 gelegentlich als faeces Israel; vgl. Thomae Aquinatis Catena Aurea in Quatuor Evangelia, Vol. 1, cura Angelici Guarienti. Taurini, Romae 1953, S. 430 (In Marcum, Praefatio); Summa Theologiae. Cura et studio Petri Caramello, Pars Prima et Prima Secundae. Torino 1952, S. 446 (qu. 98, art. 4); Super Evangelium S. Matthaei lectura. Cura Raphaelis Cai. 5. Aufl., Taurini, Romae 1951, S. 56 (c. 4, lectio 2, no. 359). Der Bibelvers hat aber keine nennenswerte antijüdische Auslegungstradition erfahren. Langenstein wird hier noch deutlicher: Wenn man die Reste aus beiden Völkern vergleiche, erwiesen sich die Reste des jüdischen Volkes als die schlimmeren, sie seien »die übelsten feces, die jeden Wein, der auf ihnen liegt, verderben«. Das Bild stammt aus der Kelterei: »So wie der Abfall des (Wein-) Schaums alles verdirbt, wenn er nicht durch den Prozess des Abschäumens aus der Mündung [= dem Zapfen des Weinfasses] ausgestoßen wird, sondern darin verbleibt.« Der Begriff feces steht hier also für die Trübstoffe, die sich bei der Gärung aus der Hefe bilden und die, wenn man sie nicht beim Abschäumen entfernt, den Wein umkippen lassen.Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 197v: Sunt namque reliquie de populo iudaico adhuc remanentes non solum sicut feces, sed sicut feces pessime, que corrumpunt omne vinum eis superpositum, sed sicut purgamentum spume, quod, si non ejiciatur ore per despumationem purificanda sed in ea resideat, totam defedat. (Für freundliche Hinweise zu diesen technischen Fragen danke ich Lukas Clemens, Trier.) In der weiteren Exploration des Begriffs vergleicht Langenstein die Juden mit Taubendreck (stercus columbinum), der die gute Erde, unter die er gemischt wird, nicht anreichere sondern verschmutze und steril mache. Mit einigem Recht könnten die Juden sogar mit den stercores patrum, den Ausscheidungen der biblischen Väter, verglichen werden. Hier wird es nun sehr körperlich: Sie seien schließlich, so Langenstein, »aus dem Körper Abrahams (hervorgegangen) und nicht seine Kinder« (de corpore Abrae egressi sunt et non sunt eius filii).Schon bei den Kirchenvätern wird den Juden die Abstammung von Abraham nur im »fleischlichen« Sinne zugestanden; vgl. etwa Augustinus, Epistolae. Recensuit Al. Goldbacher, Pars IV, Vindobonae, Lipsiae 1911 (CSEL; 57), S. 224 (ep. 196,3); Augustinus, Enarrationes in Psalmos LI–C. Curaverunt Eligius Dekkers et Iohannes Fraipont. Turnout 1956 (CCSL; 39), S. 930 (Ps. 68, sermo 2); Epiphanius, Interpretatio (wie Anm. 20), S. 32. Was also seien die gegenwärtigen Überreste der Juden anders als »sozusagen der Kot Abrahams und die stinkende Scheiße der heiligen Väter«? (Quid sunt ergo presentes iudeorum reliquie nisi quasi stercus Abrae et sanctorum patrum feces fetide?)Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 197r (Teil 1, c. 26): Sunt insuper sicut stercus columbinum, quod terram bonam, cui commiscetur, non impinguat sed demacrat et sterilem facit. Nec improprie comparantur stercoribus patrum, quia de corpore Abrae egressit sunt et non sunt eius filii. Quid sunt ergo presentes iudeorum reliquie nisi quasi stercus Abrae et sanctorum patrum feces fetide? Knapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 122, übersetzt »Misthaufen Abrahams«, was m. E. die Drastik des von Langenstein genutzten Bildes nicht hinreichend zum Ausdruck bringt. Die skatologischen Elemente der religiösen Polemik im Spätmittelalter – man denke etwa an die Figur der »Judensau« oder die Fastnachtsspiele eines Hans Folz – verdienten eine gesonderte Behandlung.In seltener Drastik übersteigert Langenstein hier die Metaphorik von der Abstammung der Juden von den Vätern secundum carnem, indem er ihnen sogar die bloß genealogische Abstammung de semine patrum abspricht. Die Gegensätzlichkeit der Bildsprache in seinen Schriften erscheint schroff.Vgl. auch Sommerfeld, Ökonomisches Denken (wie Anm. 62), S. 166. Dem dort herangezogenen Urteil, Langenstein habe die »überwältigende Fähigkeit [besessen], allergrößte Gegensätze wie Antisemitismus und metaphysische Lehre zum Judenvolke als dem Erlöservolke geschlossen in einem Denken beisammenzuhalten«, vermag ich mich nicht anzuschließen. Zu bedenken ist, dass Langensteins Rentenkauf-Traktat im Unterschied zu seinen Missionspredigten, die nur fragmentarisch und verstreut erhalten sind, eine große handschriftliche Verbreitung erfahren hat.Eine umfangreiche, aber zweifellos noch unvollständige Liste bietet Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 14 f. mit Anm. 34. Die Ausfälle gegen die Juden (Teil 1, Kapitel 24–31) sind zudem auch gesondert als »Tractatus contra iudaeos« überliefert.Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 15, Anm. 36. Ein Echo dieser Polemik findet sich sogar bei einem hussitischen Gelehrten: Jakobellus von Mies (de Stříbro, gest. 1429) übernimmt in seinem Tractatus contra usuram die Langenstein’schen Vergleiche der Juden mit feces und stercus Wort für Wort.Paul de Vooght: Jacobellus de Stříbro († 1429): premier théologien du hussitisme. Louvain 1972 (Bibliothèque de la Revue d’Histoire Ecclésiastique; 54), S. 383 f.: Sunt namque reliquie de populo iudaico ad hoc remanentes, non solum sicut feces pessime que corrumpunt omne vivum [!] in eis suppositum, sed sicut purgamentum spume. Quod si non reiciatur a re per despumacionem purificanda, sed in ea resideat, totam defedat. Sunt insuper sicut stercus columbinum, quod terram bonam cui commiscetur non impiguat, sed demacrat et sterilem facit. Nec improprie comparantur stercoribus patrum, quia de corpore Abrahe egressi sunt, et non sunt eius filii. Quid sunt ergo presentes reliquie iudeorum, nisi quasi stercus Abrahe et sanctorum patrum feces fetide! In dieser Sicht hat das Judentum jegliche Legitimität verloren; für eine Brüderlichkeit gibt es keine Grundlage mehr. Ob damit der Übergang zum Antisemitismus markiert ist, darüber könnte man nachdenken – die biologistische Metaphorik würde man vielleicht als »proto-antisemitisch« einordnen wollen. Doch sprachliche Entgleisungen sind nicht das, was einen Code begründet. Es ist die Dynamik der Kodierung, die uns interessiert.5Intentio recta – intentio ociose vivendiDamit kommen wir zurück auf den Kontext dieser Passagen, den Traktat über den Rentenkauf. Wie angedeutet, unternahmen es die Wiener Theologen Heinrich von Langenstein und sein Freund und Kollege Heinrich Totting von Oyta (ebenfalls 1397 verstorben)Zu Heinrich Totting vgl. Albert Lang: Heinrich Totting von Oyta. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der ersten deutschen Unversitäten und zur Problemgeschichte der Spätscholastik. Münster 1937 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters; 33,4–5); Knapp, Literatur (wie Anm. 63), S. 125–132; Volker Zapf: Art. »Totting von Oyta, Heinrich«. In: Das geistliche Schrifttum des Spätmittelalters. Hg. von Wolfgang Achnitz mit einem einführenden Essay von Regina D. Schiewer und Werner Williams-Krapp. Berlin 2011 (Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter; 2), Sp. 548–552. Oytas Rentenkauf-Traktat ist ebenfalls im Inkunabeldruck der Werke Jean Gersons zugänglich: Heinrich von Oyta, Tractatus de contractibus. In: Johannis Gerson Opera Omnia 4 (wie Anm. 68), fol. 224r–253v. Zu den Handschriften siehe vorläufig Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 15 f. in den 1390er Jahren wohl auf eine Anfrage der Stadt Wien hin, die Erlaubtheit dieser Vertragsform nachzuweisen und die herrschaftlichen Eingriffe in Form der Ablösungsgesetze zu verurteilen. Es würde zu weit führen, die ausführliche Argumentation der beiden Gelehrten hier zu rekapitulieren.Vgl. dazu die angeführten Arbeiten von Sommerfeld, Ökonomisches Denken (wie Anm. 61); Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), sowie Gilomen, Rentenkauf (wie Anm. 32), S. 97–101. Es sei allerdings angemerkt, dass Heinrich von Oyta dabei erstmals eine Theorie des Marktpreises entwickelte, der als »gerechter Preis« (precium iustum) gewertet werden könne.Siehe bes. Oyta, Tractatus (wie Anm. 84), fol. 231vb–232rb, und vgl. Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 127. Auch Langenstein hatte bereits unterstrichen, dass der Preis vom jeweiligen Bedarf abhing (vgl. ebd., S. 68 f.), er sprach sich aber durchaus für obrigkeitliche Preisfestsetzungen aus. Heinrich Totting scheint übrigens auf die Einwände »Konrads von Ebrach« zu reagieren; der Zusammenhang der Texte wäre einer genaueren Überprüfung wert. Kurz gefasst, kommen die beiden zu den folgenden Schlüssen: Erstens, der Rentenkauf ist meistens erlaubt, vor allem wenn die damit verbundenen Absichten nicht betrügerisch, sondern aufrichtig sind: Das Kriterium der intentio recta wird vor allem von Heinrich Totting stark gemacht.Zur intentio recta siehe v. a. Oyta, Tractatus (wie Anm. 84), fol. 227rb, 230rb, 236²va–236³ra. Trusen, Jurisprudenz (wie Anm. 38), S. 125, äußert zu Recht: »Wie dehnbar eine solche Voraussetzung jedoch ist, liegt auf der Hand!« Es wird bei ihm ebenso wie bei Langenstein besonders für den Kauf solcher Renten ins Feld geführt, die mit religiösen Zielsetzungen verbunden sind (der laufende Betrieb des Kults, die Freistellung von Gelehrten für Studium und Lehre, Hospitalstiftungen usw.).Vgl. bes. Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 211v–212r (II, c. 16), 212v–213r (II, c. 18); Oyta, Tractatus (wie Anm. 84), fol. 243rb–244vb. Zweitens: Herrschaftliche Eingriffe in den Rentenkauf sind illegitim, und die Verluste, die den Rentenkäufern dadurch entstehen, sind ihnen bei Strafe der Exkommunikation zu restituieren.Besonders deutlich wird Heinrich von Oyta, ebd., fol. 245rb–248rb (cc. 12–17).Der Zusammenhang mit den Vorstellungen über »Juden« und »Judentum« ist nicht direkt ersichtlich. Doch enthalten beide Traktate auch Kapitel über den jüdischen Geldverleih, der in traditioneller Weise (und unhinterfragt) als »Wucher« klassifiziert wird.Zu Langensteins Behandlung der Juden vgl. oben, Abschnitt 4. Heinrich von Oyta widmet sich im 19. »Dubium« seines Traktats der Frage, Utrum licitum sit alicui homini habere commertium cum usurario emendo et vendendo (Tractatus [wie Anm. 84], fol. 249r–253v). Es wird schnell deutlich, dass er mit »Wucherern« nur Juden meint (ab fol. 250r geht es nur noch um den Umgang mit ihnen) und dass er davon ausgeht, sie lebten ausschließlich vom Wucher (de quibus constat quod solum de usuris vivunt, fol. 250rb). Oytas Auseinandersetzung mit dem Judentum äußert sich auch in einer Disputatio katholica contra Judeos, deren Text noch unveröffentlicht ist; beschrieben wird sie bei Manuela Niesner: »Wer mit juden well disputiren«. Deutschsprachige Adversus-Judaeos-Literatur des 14. Jahrhunderts. Tübingen 2005 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters; 128), S. 371–375. Jüdischer Kredit ist demzufolge nie erlaubt, er kann von vornherein keinen legitimen religiösen Zwecken dienen:Die religiöse Zielsetzung, die in einigen jüdischen Quellen angesprochen wird, nämlich dass die Geldleihe das Studium der Tora ermögliche, kommt Langenstein naturgemäß nicht in den Sinn. Vgl. dazu Martha Keil: Vom Segen der Geldleihe. Zinsennehmen und Steuerwesen in jüdischen Quellen des spätmittelalterlichen Österreich. In: Aschkenas 20 (2010), S. 215–237. Er dient vielmehr – entgegen dem biblischen Gebot (»im Schweiße deines Angesichts« usw.) – dem Zweck, in Müßiggang zu leben (der intentio ociose vivendi).Vgl. bes. Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 197r. Der herrschaftliche Schutz über die Juden und die Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit sind illegitim, weil sie ebenfalls von Habgier motiviert seien.Vgl. Henricus de Hassia, Tractatus bipartitus (wie Anm. 68), fol. 197v; dazu Sommerfeld, Ökonomisches Denken (wie Anm. 62), S. 169: »durch eine aufreizende, den wahren Sachverhalt verkennende Gegenüberstellung des arbeitsamen Lebens der Christen und der jüdischen Arbeitsscheu beweist er uns die Mitschuld der katholischen Kirche an der Unterdrückung und Entrechtung der Juden«.Auch hier also sehen wir einmal mehr die Dynamik einer binären Codierung am Werk. »Juden« und »Jüdisches« dienen der gedanklichen Orientierung, hier auf dem noch wenig verstandenen und von vielerlei moralischer Uneindeutigkeit beherrschten Feld der Ökonomie. Damit soll nicht behauptet werden, dass die Wiener Theologen die Frage nach den Juden und ihrem Kreditwesen nur deshalb in ihre Traktate aufgenommen hätten, um das Kreditwesen der geistlichen Institutionen umso besser dastehen zu lassen. Wahrscheinlich war diese Frage ihnen von den Wiener Stadtvätern schon mitgegeben worden. Aber sie half ihnen dabei, das eigene Verhalten zu rechtfertigen, indem sie dessen vorgeblich lautere Absichten deutlicher konturierten. Die jüdische Aktivität in der Zinsleihe war – so übereinstimmend die Theologen – weder nach den Gesetzen des Alten noch denen des Neuen Testaments erlaubt. Juden konnten prinzipiell keine intentio recta vorweisen, wenn sie Geldgeschäfte mit Christen machten, weil sie eben Juden waren. Religiöse Delegitimation – bei Langenstein bis zum Äußersten getrieben – bot damit die Folie für die eigene Legitimation. So sortieren sich die Gedanken. Übrigens argumentierten die Theologen dabei im Grundsätzlichen, nicht etwa – was ebenfalls möglich gewesen wäre – mit dem Unterschied in den Zinssätzen zwischen Rentenkauf und »Judenwucher«. Angesichts der Rigorosität des Kirchenrechts, wonach alles über die Hauptsumme hinaus Geforderte als Wucher zu werten war (vgl. Grat. 14,3,3), konnten sie an solchen graduellen Unterschieden gar nicht interessiert sein. Sie gingen einfach davon aus, dass jüdischer Kredit auf jeden Fall Wucher sein musste, und suchten nach einer Unterscheidung auf moralischem Gebiet. Dabei halfen die überkommenen Muster der binären Kodierung. Ganz unabhängig von der Alltagserfahrung, dass Kredite bei Juden teuer waren, konstruierten sie den »Judenwucher« als eine gelehrte Schuldprojektion.6Binärer Code als religiöses Erbe im AntisemitismusEs geht nicht um Heinrich von Langenstein und darum, ob er im Vergleich zu anderen Zeitgenossen eher »judenfreundlich« oder »judenfeindlich« fühlte, ob er gar als Antisemit zu bezeichnen sei. Die Spannung zwischen seinen Sermones, in denen er die Juden als »Brüder« anspricht, und dem geschichtstheologischen Entwurf in seinem Rentenkauftraktat, worin er ihre abrahamitische Abstammung zu vernichten sucht, lässt sich schwerlich aufheben. Vielleicht ließe sich sagen, dass er als Theologe umso radikaler dachte, je mehr er in der Abstraktion verblieb? Oder dass er, wie Knapp vermutet, gegen Ende seines Lebens an der Verbesserungsfähigkeit der Welt zu zweifeln begann, konkret auch an der Möglichkeit, mit rationalen Argumenten in aristotelisch-scholastischer Manier die Juden von der Wahrheit des christlichen Glaubens überzeugen zu können?Knapp, Sermones (wie Anm. 69), S. 117; Ders., Literatur (wie Anm. 63), S. 120 f., vgl. Michael H. Shank: »Unless you believe, you shall not understand«. Logic, University, and Society in Late Medieval Vienna. Princeton/NJ 1988, S. 139–169.Worum es vielmehr gehen sollte, ist der Umstand, dass die Figur des »Juden« und des »Jüdischen« auf einer einfachen, binären Kodierung beruhte und dass sie damit zugleich ein starkes Werkzeug für Ordnung der Welterfahrung bot. Wir sahen dies sowohl im semi-monastischen Kontext bei Lambert von Saint-Omer, der die mönchischen Tugenden und Laster einander gegenüberstellte und die eine Seite als Ecclesia fidelium und die andere Seite mit Synagoga markierte; wir sahen es auch bei Heinrich von Langenstein und Heinrich von Oyta, denen die Figur des »Jüdischen« dazu diente, moralische Ordnung auf dem schwer durchschaubaren Feld der Kontrakte und Wirtschaftsgesetze zu schaffen.Um auf das Verhältnis zwischen Antijudaismus und Antisemitismus zurückzukommen, können wir vielleicht die These wagen, dass der christliche Antijudaismus eine simple und zugleich mächtige Dynamik der binären Kodierung in das »variable, vielschichtige und offene System« (Schäfer) namens Antisemitismus einbrachte und so zu dessen Resilienz bis in die Gegenwart hinein beitrug.

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Aschkenasde Gruyter

Published: Dec 31, 2022

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