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Gerechter Lohn oder „Bourgeois-Sinecure“? Die Debatte um die Gewinnbeteiligung des Aufsichtsrats um 1900

Gerechter Lohn oder „Bourgeois-Sinecure“? Die Debatte um die Gewinnbeteiligung des Aufsichtsrats... ZusammenfassungIm Deutschen Kaiserreich existierten um die Jahrhundertwende hohe Lohnungleichheiten. Eine kleine Gruppe von Spitzenverdienern, ein Prozent der Lohnempfänger, beanspruchte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts fast ein Fünftel der gesamten Lohnsumme für sich. Zu dieser Gruppe gehörten auch viele Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften. Diese Lohnungleichheiten blieben den Zeitgenossen nicht verborgen und erreichten um die Jahrhundertwende den Reichstag. Dort entspann sich im Kontext der Steuerdebatten der 1900er Jahre eine Debatte um soziale Gerechtigkeit. Politiker des Zentrums und der konservativen Reichsparteien kritisierten Aufsichtsratsentschädigungen, weil diese ohne Arbeitsleistung zustande kämen. Insbesondere in den Augen der Zentrumspolitiker gefährdete dies den Zusammenhalt der Gesellschaft. Liberale Politiker verteidigten die Spitzeneinkommen dagegen, indem sie auf das Haftungsrisiko und die hohe Arbeitsbelastung der Aufsichtsräte hinwiesen. Die vor allem von der Zentrumspartei propagierte Norm der sozialen Gerechtigkeit fand Eingang in wirtschaftspolitische Maßnahmen, die auf die Beschränkung der Aufsichtsratsvergütungen abzielten. In der Praxis scheinen diese Maßnahmen jedoch keine Wirkung entfaltet zu haben. Die empirische Untersuchung der Vergütungen von Aufsichtsräten anhand eines großen Unternehmensdatensatzes zeigt, dass viele Aktiengesellschaften die beabsichtigte Vergütungsbeschränkung durch die Einführung neuer Vergütungsformen umgingen. Wertvorstellungen in Bezug auf Lohnungleichheiten beeinflussten somit durchaus politischen Gestaltungswillen, hatten aber kaum Einfluss auf die Praxis der Lohngestaltung von Spitzenmanagern. http://www.deepdyve.com/assets/images/DeepDyve-Logo-lg.png Historische Zeitschrift de Gruyter

Gerechter Lohn oder „Bourgeois-Sinecure“? Die Debatte um die Gewinnbeteiligung des Aufsichtsrats um 1900

Historische Zeitschrift , Volume 311 (1): 38 – Aug 1, 2020

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Publisher
de Gruyter
Copyright
© 2020 Walter de Gruyter, Berlin/Boston
ISSN
2196-680X
eISSN
2196-680X
DOI
10.1515/hzhz-2020-0026
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Abstract

ZusammenfassungIm Deutschen Kaiserreich existierten um die Jahrhundertwende hohe Lohnungleichheiten. Eine kleine Gruppe von Spitzenverdienern, ein Prozent der Lohnempfänger, beanspruchte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts fast ein Fünftel der gesamten Lohnsumme für sich. Zu dieser Gruppe gehörten auch viele Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften. Diese Lohnungleichheiten blieben den Zeitgenossen nicht verborgen und erreichten um die Jahrhundertwende den Reichstag. Dort entspann sich im Kontext der Steuerdebatten der 1900er Jahre eine Debatte um soziale Gerechtigkeit. Politiker des Zentrums und der konservativen Reichsparteien kritisierten Aufsichtsratsentschädigungen, weil diese ohne Arbeitsleistung zustande kämen. Insbesondere in den Augen der Zentrumspolitiker gefährdete dies den Zusammenhalt der Gesellschaft. Liberale Politiker verteidigten die Spitzeneinkommen dagegen, indem sie auf das Haftungsrisiko und die hohe Arbeitsbelastung der Aufsichtsräte hinwiesen. Die vor allem von der Zentrumspartei propagierte Norm der sozialen Gerechtigkeit fand Eingang in wirtschaftspolitische Maßnahmen, die auf die Beschränkung der Aufsichtsratsvergütungen abzielten. In der Praxis scheinen diese Maßnahmen jedoch keine Wirkung entfaltet zu haben. Die empirische Untersuchung der Vergütungen von Aufsichtsräten anhand eines großen Unternehmensdatensatzes zeigt, dass viele Aktiengesellschaften die beabsichtigte Vergütungsbeschränkung durch die Einführung neuer Vergütungsformen umgingen. Wertvorstellungen in Bezug auf Lohnungleichheiten beeinflussten somit durchaus politischen Gestaltungswillen, hatten aber kaum Einfluss auf die Praxis der Lohngestaltung von Spitzenmanagern.

Journal

Historische Zeitschriftde Gruyter

Published: Aug 1, 2020

Keywords: Lohnungleichheit; Steuerdebatte; soziale Gerechtigkeit; wage inequality; tax debate; social equity

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