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Editorial

Editorial EditorialVom Beruf unserer Zeit zu einer Reformdes RevisionsrechtsEingeweihte Praktiker halten die Revision fçr ein mittlerweile erstarrtes Rechtsgebiet, mitdem man irgendwie klarkommen mçsse. Dagegen hatte schon am 24.05.1964 der Deutsche Bundestag eine Gesamtreform des Strafprozesses gefordert. Die dann 1986 vom Bundesministerium der Justiz angekçndigte Große Strafverfahrenskommission ist niemals zusammengetreten. Stets stand auch die Revision im Fokus. Stattdessen passierte: nichts.Doch, eine Ønderung darf der guten Ordnung halber nicht unterschlagen werden. Grobgesprochen hat der BGH nun auch die Befugnis, Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO einzustellen. Das war bislang nur den Landgerichten vorbehalten; fçr diese eine willkommeneRetourkutsche, wenn ein Freispruch gegen die landgerichtliche Ûberzeugung aufgehobenwurde. Ûber dieses Refærmchen ist das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 (BGBl. I, S. 3202, 3209) nicht hinausgekommen.Dabei ist eine Reform der Revision dringender denn je. Nicht allein deshalb, weil der BGHsich mit der erweiterten Revision auf derselben Rechtsgrundlage wie derjenigen des Jahres1878 bewegt, als das deutsche Strafverfahren noch den Wahrspruch der Geschworenenkannte! Dass hier praeter legem gearbeitet wird (manche sagen nicht ganz zu Unrecht:contra legem) liegt auf der Hand. Vor allem bleibt ohne klaren gesetzlichen Rahmen dieRevision das Vabanquespiel, das sie schon immer gewesen ist. Alsberg formuliert schon1913: »Am græßten Unrecht kann sie versagen und beim græßten Recht zur Aufhebung ...fçhren«. Heute ist die Unsicherheit noch gestiegen, kænnen doch die Strafsenate jedesUrteil, das sie mit dem Bauchgefçhl fçr goldrichtig empfinden, halten, ein anderes mitdenselben Verfahrens- und Feststellungsmångeln aber aufheben. Beides geschieht oftmalsmit floskelhaften Begrçndungen.Die Revisionsdefizite sind im jçngsten Urteil des 5. Strafsenats zum Gættinger Transplantationsskandal (5 StR 20/16, demnåchst in StV) mehr als deutlich geworden. Dort hat das LGvier Sachverståndige gehært, nach deren Aussagen die von der Bundesårztekammer erstellten Richtlinien zur Lebertransplantation zweifelhaft erscheinen mçssen. Dass aber dieSachverståndigen aus der Transplantationsmedizin in ihrer Mehrheit die medizinischen Fragen gånzlich anders einschåtzten, zudem diese Fragen in ståndigem Diskurs auch in ihrenFachgesellschaften abgeklårt hatten, bleibt ohne Berçcksichtigung. Im Gegenteil, der BGHmuss den landgerichtlichen Folgerungen auf der dçrftigen Sachverstandsexpertise folgenund muss darauf ein (im Ûbrigen nur insoweit) hæchst fragwçrdiges Urteil schreiben.Der Fall mahnt einmal mehr dazu, die Revisionsoptionen zu çberdenken. Das Revisionsgericht muss nicht nur bloße Darlegungsfåhigkeiten der Tatrichter çberprçfen kænnen. Esmuss intensiver und deutlicher den festgestellten Tatsachen nachgehen kænnen, und zwaranhand eines gesetzlich fixierten Kontrollumfanges. Erst dann ist erreicht, was wir im Strafprozess vermissen und schon 1964 als Gedanke in der Welt gewesen ist: eine Revision, dieeine wirkmåchtige prozessspezifische Qualitåtskontrolle und -sicherung im Strafprozessdarstellt.Prof. Dr. Henning Rosenau, Halle a.d. SaaleStV 12 . 2017I http://www.deepdyve.com/assets/images/DeepDyve-Logo-lg.png Strafverteidiger de Gruyter

Editorial

Strafverteidiger , Volume 37 (12): 1 – Nov 27, 2017

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Publisher
de Gruyter
Copyright
Copyright by Wolters Kluwer
ISSN
0720-1605
eISSN
2366-2166
DOI
10.1515/stv-2017-1201
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Abstract

EditorialVom Beruf unserer Zeit zu einer Reformdes RevisionsrechtsEingeweihte Praktiker halten die Revision fçr ein mittlerweile erstarrtes Rechtsgebiet, mitdem man irgendwie klarkommen mçsse. Dagegen hatte schon am 24.05.1964 der Deutsche Bundestag eine Gesamtreform des Strafprozesses gefordert. Die dann 1986 vom Bundesministerium der Justiz angekçndigte Große Strafverfahrenskommission ist niemals zusammengetreten. Stets stand auch die Revision im Fokus. Stattdessen passierte: nichts.Doch, eine Ønderung darf der guten Ordnung halber nicht unterschlagen werden. Grobgesprochen hat der BGH nun auch die Befugnis, Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO einzustellen. Das war bislang nur den Landgerichten vorbehalten; fçr diese eine willkommeneRetourkutsche, wenn ein Freispruch gegen die landgerichtliche Ûberzeugung aufgehobenwurde. Ûber dieses Refærmchen ist das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 (BGBl. I, S. 3202, 3209) nicht hinausgekommen.Dabei ist eine Reform der Revision dringender denn je. Nicht allein deshalb, weil der BGHsich mit der erweiterten Revision auf derselben Rechtsgrundlage wie derjenigen des Jahres1878 bewegt, als das deutsche Strafverfahren noch den Wahrspruch der Geschworenenkannte! Dass hier praeter legem gearbeitet wird (manche sagen nicht ganz zu Unrecht:contra legem) liegt auf der Hand. Vor allem bleibt ohne klaren gesetzlichen Rahmen dieRevision das Vabanquespiel, das sie schon immer gewesen ist. Alsberg formuliert schon1913: »Am græßten Unrecht kann sie versagen und beim græßten Recht zur Aufhebung ...fçhren«. Heute ist die Unsicherheit noch gestiegen, kænnen doch die Strafsenate jedesUrteil, das sie mit dem Bauchgefçhl fçr goldrichtig empfinden, halten, ein anderes mitdenselben Verfahrens- und Feststellungsmångeln aber aufheben. Beides geschieht oftmalsmit floskelhaften Begrçndungen.Die Revisionsdefizite sind im jçngsten Urteil des 5. Strafsenats zum Gættinger Transplantationsskandal (5 StR 20/16, demnåchst in StV) mehr als deutlich geworden. Dort hat das LGvier Sachverståndige gehært, nach deren Aussagen die von der Bundesårztekammer erstellten Richtlinien zur Lebertransplantation zweifelhaft erscheinen mçssen. Dass aber dieSachverståndigen aus der Transplantationsmedizin in ihrer Mehrheit die medizinischen Fragen gånzlich anders einschåtzten, zudem diese Fragen in ståndigem Diskurs auch in ihrenFachgesellschaften abgeklårt hatten, bleibt ohne Berçcksichtigung. Im Gegenteil, der BGHmuss den landgerichtlichen Folgerungen auf der dçrftigen Sachverstandsexpertise folgenund muss darauf ein (im Ûbrigen nur insoweit) hæchst fragwçrdiges Urteil schreiben.Der Fall mahnt einmal mehr dazu, die Revisionsoptionen zu çberdenken. Das Revisionsgericht muss nicht nur bloße Darlegungsfåhigkeiten der Tatrichter çberprçfen kænnen. Esmuss intensiver und deutlicher den festgestellten Tatsachen nachgehen kænnen, und zwaranhand eines gesetzlich fixierten Kontrollumfanges. Erst dann ist erreicht, was wir im Strafprozess vermissen und schon 1964 als Gedanke in der Welt gewesen ist: eine Revision, dieeine wirkmåchtige prozessspezifische Qualitåtskontrolle und -sicherung im Strafprozessdarstellt.Prof. Dr. Henning Rosenau, Halle a.d. SaaleStV 12 . 2017I

Journal

Strafverteidigerde Gruyter

Published: Nov 27, 2017

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